Den zweiten Tag in Irkutsk begannen wir mit einem Stadtbummel. Wir
folgten einer auf die Fußwege aufgeklebten grünen Linie, die
Touristen zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt führen sollte.
Anfangs funktionierte das auch ganz gut. Wir sahen interessante
Gebäude, Plätze, restaurierte Kirchen. An markanten Stellen
informierten russisch- und englischsprachige Tafeln über die
jeweilige Attraktion. Sehr beeindruckte uns die Gedenkstätte für
die Gefallenen des 2. Weltkrieges. Eine nie verlöschende Flamme
brennt zu ihren Ehren. Ich verstehe den Patriotismus der Russen immer
besser. 250000 Soldaten aus dem Irkutsker Gebiet zogen in den Großen
Vaterländischen Krieg, 50000 kehrten nicht zurück. Meine Gefühle
als Deutscher an dieser Gedenkstätte kann ich nicht wirklich
beschreiben.
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eine der restaurierten Kirchen (den Namen habe ich leider vergessen) |
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die ewige Flamme in der Gedenkstätte für dei Gefallenen des 2. Weltkriegs |
Später
durchschritten wir den Moskauer Triumphbogen, durch den früher alle
Besucher in die Stadt gelangten. Die grüne Linie führte uns dann
auch vorbei an einst sicher prachtvollen Holzhäusern. Doch diese
befinden sich inzwischen meist in einem bedauernswerten Zustand. Und
das, obwohl sie größtenteils noch bewohnt sind! Unbegreiflich!
Was uns
bei diesen alten Holzhäusern immer wieder auffällt, sind die fast
bis zum Erdboden reichenden Fenster. Ich vermute, dass die Häuser in
die Erde hineingebaut wurden. Vielleicht war das günstig in den
strengen Wintern?
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dieses Haus ist bewohnt! |
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dieses Haus sieht da schon viel schöner aus |
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eine Straße weiter dann wieder Bauten aus Sowjetzeiten |
Irgendwo
verließen wir die grüne Linie, weil sie plötzlich nicht mehr da
war. Sehr touristenfreundlich!?! Eine recht eigenartige
Fußgängerzone, schmuck- und gestaltlos, durchwandern wir.
Ausdruckslose Geschäfte mit Schaufensterdekorationen wie vor 50
Jahren, kein Grün, keine Blumen, alles sehr eigenartig. Der sich
anschließende lebendige Markt mit allem Obst und Gemüse, das man
sich nur denken kann, und die daran angrenzenden Markthallen gefallen
uns hingegen ganz gut.
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die Fußgängerzone... |
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...wirkt nicht gerade attraktiv |
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der Markt gefiel uns da schon viel besser |
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hier wird Kwas verkauft |
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eine Filiale der Raiffeisen-Bank; wer vermutet das in Sibirien? |
Später
stärkten wir uns bei Subway (ja, auch die sind inzwischen hier
vertreten) mit einem wirklich leckeren Baguette.
Nach gut
8 km erreichten wir ziemlich pflastermüde wieder unseren Stellplatz.
Im Hotel holten wir unsere frisch gewaschene Wäsche ab (900 Rubel
für ein paar T-Shirts, Handtücher und zwei Hosen fanden wir schon
recht üppig).
Was uns bei unserem Bummel noch auffiel: Die Highheels haben wieder Ausgang. Unglaublich, wie viele
Frauen hier damit durch die Stadt laufen. Und die meisten können es
wirklich! (Nichts sieht schlimmer aus, als wenn ein hübsches
langbeiniges Geschöpf mit den hohen Absätzen herumstakst wie ein
Storch auf der Wiese!)
Kaum
sind wir beim Gecko angekommen, fängt es an zu regnen. Dabei wollten
wir doch noch mal auf der Promenade Leute gucken und ein bisschen
lesen. Shit!
Es
regnet sich ein und wir hocken im Auto. Aber wir wollen nicht
meckern. Schließlich sind wir schon fast fünf Wochen unterwegs, und
der Regen erwischt uns erstmals richtig.
Zum
Glück hörte es in der Nacht auf zu regnen. Am nächsten Morgen, es
war der 28. Mai 2015, blinzelte schon wieder die Sonne durch die
Wolken.
Wir
verließen den Hotelhinterhof und füllten mit einem Großeinkauf in
einem riesigen Supermarkt unsere Vorräte auf. Nach einigem Suchen
und vielem Fragen gelang es mir, zuerst in einer Art
Elektronik-Markthalle eine Micro-SD-Karte für die Actioncam zu
kaufen (die mit dieser dann tatsächlich auch endlich richtig
funktionierte). Danach konnte ich auch noch eine 50-Ampere-Sicherung
auftreiben, die mir schon seit Tagen fehlte und die in Russland
völlig unbekannt schien. Alle möglichen Sicherungen haben wir
dabei, aber diese eine spezielle eben nicht.
Es war
schon weit nach 13 Uhr, als wir Irkutsk endlich verließen und die
letzte Etappe zum Baikalsee in Angriff nahmen. Die Landschaft änderte
sich fast schlagartig. Weites Grasland, das aber noch kein frisches
Grün trug, erstreckte sich bis zu den Bergen am Horizont. Nur noch
wenige Autos begegneten uns. In einem kleinen Ort konnten wir unsere
Wasservorräte an einer öffentlichen Wasserzapfstelle auffüllen.
Hier holt sich auch die Bevölkerung ihr Wasser ab, da die Häuser
keinen Wasseranschluss haben. Damit waren wir für den Baikal und die
Insel Olchon gut gerüstet.
Um zum
See zu gelangen, mussten wir einige Höhenzüge überwinden. Bis
knapp 1000 Meter ging es hinauf. Immer wieder bauten sich mit Nadel-
und Laubbäumen bestandene Berge vor uns auf. Was für eine
Augenweide nach den ewigen Birkenwäldern!
Ein
Stück außerhalb des letzten Ortes tauchte auf einem kahlen Hügel
eine riesige Säule auf, auf der ein überdimensionaler Adler seine
Schwingen ausbreitet. Wir fuhren auf die Anhöhe hinauf. Eisiger Wind
und eine traumhafte Aussicht erwarteten uns. Rundum die völlig
kahlen Berge. Der Sturm heulte regelrecht. Und dann war da plötzlich
dieses sanfte Klingeln in der Luft. Es klang wie von einer anderen
Welt. Doch woher kam es nur? Dann entdeckten wir die Ursache.
Unterhalb des riesigen Bronzeadlers, dessen Spannweite bestimmt vier Meter betrug, schwangen sechs Glöckchen im Wind. An ihren Klöppeln
hingen lange Haarbüschel. Es waren fast sphärische Klänge, eine
berauschende Musik.
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unendliche Weite nördlich von Irkutsk |
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"Sieg" steht auf diesem Hang |
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wir haben Burjatien, das Land der Schamanen, erreicht |
So sehr
uns dieser Ort fesselte, wir mussten weiter. Bis zur Fähre waren es
sicher noch 60 oder 70 km, und es war schon später Nachmittag.
Nur
wenige Kilometer weiter kam dann der Hammer. Es begann eine
Rüttelpiste der allerübelsten Art.Tiefes Waschbrett ließ den Gecko
ächzen und stöhnen. Hier wäre mir ein etwas weicheres Fahrwerk
doch lieber gewesen. Dann zeigte ein Schild an, dass es zwölf
Kilometer so weiter gehen würde. Na klasse! Links und rechts dieser
„Straße“ zogen sich Wege hin. Ich wich dann auf einen davon aus.
Ein bisschen besser ließ es sich schon fahren. Man glaubt gar nicht,
wie lang zwölf Kilometer einem vorkommen können. Es war wie eine
Erlösung, als wir endlich wieder normalen Asphalt unter die Räder
bekamen.
Nur noch
wenige Kilometer bis zur Fähre, die uns auf die Insel bringen
sollte. Es ging noch einmal steil hinauf. Eine riesige Metallskulptur
eines verwegenen Mannes begrüßte uns und gab dann den Blick auf den
weit unten liegenden Baikalsee frei. Was für ein Anblick! Eingerahmt
von hohen Bergen, deren Kuppen noch weiß vom Schnee waren, glänzte
das Wasser blaugrau. Es war für uns irgendwie schon ein bewegender
Moment. Fünf Wochen sind wir schon unterwegs und über 9000 km Fahrt
haben wir bewältigt, und nun lag er vor uns, der legendäre und lang
ersehnte Baikal.
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unser erster Blick auf den Baikalsee |
Wie der
Fähranleger aussieht, wusste ich schon aus dem Internet. Doch wie so
oft im Leben kam es ganz anders. Bagger und Baumaschinen wühlten in
der Erde. Von den ehemaligen Einrichtungen war absolut nichts mehr
übrig. Offensichtlich wurde hier alles neu gestaltet.
Wir
nahmen den letzten kleinen Anstieg und sahen, wie die Fähre eben
gerade ablegte. Es war genau 18:30 Uhr. Na super! Die nächste Fähre
sollte laut Plan in einer halben Stunde fahren. Doch daraus wurden
eineinhalb Stunden.
Die
Überfahrt verlief unspektakulär, bot aber herrliche Ausblicke auf
die hinter den hohen Bergen versinkende Sonne. Nach 20 Minuten
verließen wir das Schiff rückwärts fahrend. Die vordere Bugklappe
funktionierte scheinbar nicht mehr.
Noch 18
km bis zum Stellplatz. Und wieder rüttelte uns eine Schotterpiste
durch, diesmal zum Glück nicht ganz so heftig. Mit 70 km/h kam man
gut über das Waschbrett.
Es
dunkelte schon, als wir vom Hauptweg nach links abbogen. Noch vier
Kilometer über dürre, baumlose Steppenlandschaft, dann hieß es:
„Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ Im Halbdunkel konnten wir gerade
noch erkennen, dass wir auf einer Steilküste mit weitem Blick über
den See standen. Todmüde gingen wir sofort schlafen.
29.
Mai 2015 Wir schliefen wie die Murmeltiere. Die Morgensonne heizte
unser luftiges Schlafgemach auf und trieb uns aus den Federn. Jetzt
erst sahen wir, auf was für einem Traumplatz wir gelandet waren
(danke Heike und Hermann für die Stellplatz-Koordinaten!).
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der erste Morgen am Baikal |
Vielleicht
15 oder 20 Meter hoch über dem See schauten wir hinüber auf die
Berge am Westufer. Unter uns plätscherten und rauschten die Wellen
ans Ufer. Wir standen auf völlig vertrocknetem Gras, sanfte
gelbbraune Hügel hinter uns.
Frühstück
im Freien mit traumhaftem Blick in die Ferne. Wir genossen es lange.
Aber wir brauchten auch mal wieder Bewegung. Fünf Wochen im Auto
sitzen fördert nicht gerade die Kondition. Also liefen wir los,
hinunter zum hellen Kiesstrand und fühlten zum ersten Mal das
eiskalte Baikalwasser, das so klar ist wie ein Gebirgsbach. Zwischen
den Kieselsteinen am Ufer krabbelten Millionen von fliegenartigen
Insekten herum. Sobald man nur eine Sekunde stehenblieb, kletterten
sie schon die Hosenbeine hinauf. Unangenehm!
Schließlich
hatten wir rund vier Kilometer in den Beinen. Für uns nicht gerade
viel, aber für diesmal sollte es reichen.
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der Frühling ist da! |
Zum
Mittag zauberte Jutta aus dem tags zuvor gekauften Schweinehack
knusprige Beefsteaks. Ein Genuss! Dazu tranken wir Kwas, ein
typisches russisches Getränk, das ähnlich wie Malzbier schmeckt.
Nach dem fürstlichen Mahl war Wäsche waschen angesagt. Jutta hat
das voll im Griff, wie auch die ganze „Küche“. Zum Spülen der
Wäsche liefen wir wieder die 300 Meter zum Seeufer hinunter. Jutta
stand dann in dem eiskalten Wasser. Man muss eben Opfer bringen...
Danach
Kaffee trinken, Tagebuch schreiben und bei allem diese unglaubliche
Ruhe genießen. Es ist wirklich traumhaft schön hier!
Gegen
Mittag fuhr in einiger Entfernung ein Auto vorbei. Ansonsten sahen
wir den ganzen Tag keinen einzigen Menschen.
30, Mai
2015 Wieder weckte uns die Sonne. Strahlend blauer Himmel und diese
himmlische Ruhe. Doch damit war es bald vorbei. Nach wie vor zeigte
sich kein Wölkchen am Himmel, aber ein eiskalter Wind, der sich
schnell zum Sturm auswuchs, fauchte aus dem Nordosten über den
Baikal. Im Nu sank die Temperatur auf 3 Grad. Wir frühstückten
trotzdem draußen, schließlich schien ja die Sonne...
Auch
nach zwei Stunden ließ der Sturm nicht nach. Wir beschlossen, einen
anderen Stellplatz zu suchen, wo wir vor dem kalten Wind geschützt
sind.
Nur rund
30 km Fahrt auf der Sandpiste, und schon standen wir wieder auf einem
wunderschönen Fleck Erde, auf einem Plateau hoch über dem Baikal.
Leider konnten wir auch hier nicht bleiben, denn auch hier gab es
weit und breit weder Baum noch Strauch, die uns vor dem Wind hätten
schützen können.
Also
weiter in Richtung Norden. Dort muss es laut Karte Wald und damit
Windschutz geben. Ein kurzes Stück nach einem kleinen Ort fuhren wir
erstmals wieder durch richtigen Wald, der hauptsächlich aus Lärchen
besteht. Die Bäume trieben ihre ersten zartgrünen Nadeln aus. Dann
schimmerte etwas Lilafarbenes zwischen den schwarzen Stämmen
hindurch. Das mussten wir uns von Nahem ansehen. Zarte lila Blüten
an niedrigen Büschen. Unmengen! Hier blühte Rhododendron. Ein
herrlicher Anblick!
Nach
einigen Kilometern stoppten uns gleich drei Schilder mit russischer
und englischer Aufschrift: ACHTUNG! Nationalpark! Betreten nur mit
Genehmigung gestattet!
Was nun?
Weiterfahren und bei Fragen dumm stellen? Aber Unwissenheit schützt
vor Strafe nicht. Das ist auf der ganzen Welt so, also sicher auch in
Russland.
Wir
bogen seitlich in einen Waldweg ab, ohne in den Nationalpark
einzudringen und fanden tatsächlich im zweiten Anlauf wieder mal
einen herrlichen Stellplatz am Rande eines Lärchenwaldes. Wir waren
happy! Blick zum See war garantiert, keine Menschenseele weit und
breit, und wir standen windgeschützt.
Jutta
kreierte auf unserem einfachen Gaskartuschen-Kocher ein köstliches
Abendessen (Schnitzel!), das gekrönt wurde durch einen wunderbar
milden Wodka, zu dessen Herstellung Baikalwasser verwendet wurde. Zu
guter Letzt ließ auch der Sturm nach. Die mondhelle Nacht versprach,
kalt zu werden.
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Wodka aus Baikalwasser |
31. Mai
2015 Aufstehen kurz nach Sonnenaufgang, Frühstück mit Blick auf
den Baikal. Eine unglaubliche Stille umfing uns. Keine Insekten,
keine Vögel, absolute Ruhe. Nicht einmal Wind rauschte in den
Bäumen. Erst dachte ich: Totenstille. Doch dann, mit den wärmer
werdenden Sonnenstrahlen, trauten sich die ersten Insekten hervor.
Kurz darauf trällerte im Wald ein Singvogel sein Morgenlied. Dann
begrüßten einige Raben krächzend den strahlenden Morgen. Ein
Glück: Die totale Ruhe zuvor war wohl doch nur Kältestarre.
Am
Vormittag schlenderten wir über die vertrocknete Steppe ein paar
hundert Meter zum See hinunter. Am Steilhang über dem See blühte
zwischen den Lärchen wieder dieser lila Rhododendron.
Wir
füllten unsere 5- und 6,5-Liter-Flaschen mit glasklarem Baikalwasser
und schleppten sie zum Auto. Eine schweißtreibende Angelegenheit, 60
Meter Höhenunterschied bei praller Sonne. Klingt nicht besonders
viel, aber wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten...
Die
Sonne lieferte uns Warmwasser, indem wir das Wasser aus den großen
Flaschen in einen schwarzen Gummisack umfüllten. Haare waschen war
angesagt, danach Wäsche waschen. Es dauerte alles ein bisschen
länger, aber wir haben ja alle Zeit der Welt.
Zum
Mittag gab es diesmal Blinis (russische Eierkuchen). Ein Genuss!
Und die
Sonne brannte...
Wir
genossen wieder diese herrliche Ruhe. Ein Entenpärchen zog am Himmel
entlang. Unruhe kam auf, als sich vier Raben einen tollen Luftkampf
lieferten. Bis wir merkten, dass sie gar nicht gegeneinander
kämpften. Sie tollten einfach nur übermütig in der Luft herum.
Muss das ein herrliches Gefühl sein, so fliegen zu können... Wir
gaben uns einfach dem süßen Nichtstun hin.
1. Juni
2015 Vormittags wieder Wasser am See holen, diesmal mit freiem
Oberkörper (ich, Jutta nicht), denn der Westwind trug richtig warme
Luft heran. Gegen Mittag lief dann urplötzlich das Kontrastprogramm
an. Innerhalb weniger Minuten drehte der Wind wieder auf Nordost,
frischte stark auf und brachte natürlich prompt diese eisige Luft
heran. Es regnete leicht, in der Ferne grollte ein heftiges Gewitter.
Wir machten alles sturmfest, was zum Glück nicht nötig gewesen
wäre. Aber sicher ist sicher. Zwei Stunden später schien wieder die
Sonne. Das, was wir zu Hause Aprilwetter nennen, findet hier
offensichtlich im Mai/Juni statt.
Am
Nachmittag stellten sich in 200 Meter Entfernung zwei LKWs aus
Deutschland auf. Wir hatten sie vor zwei oder drei Tagen schon einmal
gesehen. Nach einiger Zeit liefen wir hinüber, um uns zu erkundigen,
ob sie wussten, woher man die Genehmigung für den Nationalpark
bekommen kann. Sie sagten, dies sei im Hauptort der Insel möglich.
Das eine Pärchen schien ganz ok, das andere benahm sich reichlich
überheblich. Wahrscheinlich nahmen sie uns mit unserem kleinen
Toyota nicht ganz ernst. Da wieder Regen aufzog, verabschiedeten wir
uns schnell.