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Dienstag, 9. Oktober 2018

Über bunte Bäume und wilde Wale

Eine lange Durststrecke liegt hinter uns. Euch Leserinnen und Leser dürstete es nach neuem Lesestoff und wir Reisende lechzten nach Sonnenschein. Diese Periode liegt nun hinter uns. Ihr könnt endlich lesen, wie unsere Reise in den vergangenen drei Wochen verlief, und wir durften aktuell zwei Tage mit einigermaßen Sonnenschein und tollen Erlebnissen genießen. Und schwupp, ist auch die Lust zum Schreiben wieder vorhanden. Ich gebe zu, dass diese mich in der letzten Zeit verlassen hatte. Tag für Tag Regen und grauer Himmel und Tagestemperaturen von 5 bis 12 Grad wirkten sich nicht gerade förderlich auf meine „schriftstellerischen“ Ambitionen aus, obwohl mir sonst Schlechtwetterperioden wenig bis nichts anhaben können. Es ist eben doch ein großer Unterschied, ob ich mich in so einer Phase gemütlich zu Hause in die warme Stube setzen und am Computer schreiben kann, oder ob ich hier unter sehr bescheidenen Platzverhältnissen (wir leben schließlich seit einem halben Jahr auf vier Quadratmetern!) bei widrigen Temperaturen (auch wenn wir eine gut funktionierende Standheizung haben) den nächsten Blogbeitrag verfasse.

Ja, so sehr wir dieses Zigeunerleben lieben, es hat eben auch so seine Nachteile, die wir aber gerne in Kauf nehmen. Zigeunerleben sagt man heute wohl nicht mehr, ebenso wenig wie Neger und Eskimo. Sinti und Roma, Afrikaner und Inuit sollen wir sie jetzt nennen. Ob die Sinti und Roma etwas gegen die Bezeichnung Zigeuner haben, weiß ich nicht, da ich keinen persönlich kenne. Warum "Neger" inzwischen verpönt ist, verstehe ich beim besten Willen nicht. Das Wort ist ja wohl irgendwie von negro abgeleitet, was nichts anderes als schwarz bedeutet. Die dunkelhäutigen Menschen finden es völlig normal, wenn wir sie Schwarze nennen, da sie uns ja auch als Weiße bezeichnen. Die Schwarzen aus meinem Bekanntenkreis werde ich demnächst fragen, was sie von der Bezeichnung Neger halten. Und dann sind da noch die Eskimos, die sich selbst so bezeichnen. In Inuvik gibt es ein Eskimo-Cafe, in Fairbanks fand die Olympiade der Eskimos und First Nations statt. Es gibt noch viele weitere Beispiele, die belegen, dass es nicht falsch sein kann, von Eskimos zu reden. Aber das ist meine persönliche Meinung, die ja nicht jeder teilen muss. Und ich bin auch sehr dafür, dass unsere Weihnachtsmärkte weiterhin so genannt und nicht zu Jahresend-Märkten umfunktioniert werden, wie mancherorts schon geschehen.

Entschuldigt bitte diese Abschweifung, aber das wollte ich einfach mal loswerden. Zurück nach Kanada. Man soll ja immer versuchen, jeder Situation möglichst etwas Gutes zu entnehmen. Nun, diese Schlechtwetterperiode hatte tatsächlich eine gute Seite: seit Wochen haben wir keinen einzigen Moskito mehr gesehen. Und das will in Kanada schon etwas heißen. Übrigens haben uns einige Einheimische unabhängig voneinander bestätigt, dass dieser Sommer in Kanada viel zu kalt war.

Ich komme einfach nicht weg vom Thema Wetter, doch Folgendes muss ich euch berichten. An dem Tag, als ich den letzten Bericht in unseren Blog hochlud, lag die Tageshöchsttemperatur bei 4 Grad. Es war der 22. September. Es nieselte den ganzen Tag. Am Abend setzte Schneeregen ein. Am nächsten Morgen bogen sich die Laubbäume, die ja noch nicht mal ihre Blätter abgeworfen hatten, unter der Schneelast bis zum Boden und versperrten uns zeitweise den Weg. Einen halben Tag lang fuhren wir durch ein winterliches Ontario. Selbst die Kanadier meinten, dass dieses Wetter nicht mehr normal sei.

der See dampft, da sein Wasser noch warm, die Luft aber kalt ist

23. September  morgens





Wenige Tage später erreichten wir den flächenmäßig größten Binnensee der Erde, den Lake Superior. An dessen Nordufer befindet sich eine ganze Reihe Amethyst-Minen. Der Amethyst ist ein meist lilafarbener Halbedelstein, der hauptsächlich zu Schmuck verarbeitet wird. Eine dieser Minen besuchten wir. Besucher können dort selbst in der Erde nach den begehrten Steinen buddeln. Wir taten es natürlich auch, selbstverständlich bei eisigem Nieselregen (was auch sonst!). Die Ausbeute wurde gewogen, wir beließen es bei ca. 1,5 kg, und für relativ wenig Geld durften wir die Steine mitnehmen. Dabei waren wir uns sicher, dass alles schon vorher durchsucht worden war, denn wirklich schöne größere Kristalle konnten wir nicht finden. Nebenbei: die Mine nennt sich „Panorama“, weil man con dort eine wunderbare Aussicht auf den Lake Superior haben soll. Wir können es leider nicht bestätigen, da wir außer Nebel und dicken Regenwolken nichts sahen.

am Lake Superior (Oberer See heißt er im deutschen Sprachgebrauch)







allmählich macht sich Herbststimmung breit

auch dem Eichhörnchen schmecken Pilze
Sturm am Lake Superior
Wellen wie am Meer

Jutta als Fotografin
Amethyst-Mine "Panorama"

so große Kristallstufen fanden wir natürlich nicht

Amethyste können auch braun oder schwarz aussehen

Wir folgten dem Trans Canada Highway immer weiter nach Osten. In dem winzigen Dörfchen Huron Shore östlich des Lake Huron besuchten wir einen Farmer-Markt, der von einem einzelnen Farmer bestritten wurde. Dieser begrüßte uns in einem eigenartigen deutschen Dialekt, nämlich Pennsylveniadeutsch. Er gehört den Amishe an, einer christlichen Glaubensgemeinschaft. Es war sehr interessant, sich mit ihm über das Leben dieser Leute zu unterhalten, die fast wie vor 300 Jahren leben. Sie lehnen praktisch jeglichen Fortschritt ab, nutzen keine Autos und auch keinen elektrischen Strom. Sie versuchen, sich weitgehend von der übrigen Welt abzukapseln. Ihre Kinder gehen in eigene Schulen, aber nur acht Jahre. Weiterführende Schulen und Universitäten besuchen sie nicht. Sie leben hauptsächlich von der Landwirtschaft. Als Fortbewegungsmittel nutzen sie einfache schwarze Kutschen, die sie „Buggy“ nennen. Sie haben keine Handys und Computer bezeichnen sie als Teufelszeug und sie lehnen es kategorisch ab, fotografiert zu werden, was ich natürlich akzeptiert habe. Immerhin durfte ich seinen Buggy fotografieren.

in dieser 12-seitigen historischen Scheune fand der Farmermarkt statt

mit solchen Buggys sind die Amishe unterwegs

leider kein Foto des Amishe-Farmers, da diese das Fotografieren kategorisch ablehnen

Der 1. Oktober wurde für uns zu einem denkwürdigen Tag, denn es war seit drei Wochen der erste Tag, an dem kein einziger Regentropfen fiel. Ab und zu schien die Sonne und die Temperatur stieg auf 13 Grad. Am gleichenTag erreichten wir den Algonquin Provincial Park, der im Herbst von Touristen aus aller Welt besucht wird. Angelockt werden die Massen durch den Indian Summer. Und tatsächlich prangte das Laub der Bäume in wundervollen Farben. Von hellem Gelb über leuchtendes Orange und feurigem Rot bis zu dunklem Karmin reichte die Farbpalette. Leider versteckte sich die Sonne schon wieder und wir fragten uns, wie prächtig diese Farben erst erscheinen würden, wenn die Sonne sie zum Leuchten brächte.


im Algonquin Provincial Park

endlich mal wieder Sonnenschein



schon hat die Sonne uns wieder verlassen

wie schön muss das erst bei Sonnenschein aussehen...

Mit Erreichen der Provinz Quebec mussten wir unsere Uhren um eine weitere Stunde vorstellen, so dass der Zeitunterschied zu Deutschland nur noch sechs Stunden beträgt. In Quebec, wo hauptsächlich französisch gesprochen wird, ist es recht schwierig, einen Stellplatz für die Nacht zu finden, da sich fast alles Land in Privatbesitz befindet und sämtliche See- und Flussufer nicht erreichbar sind. Selbst im kleinsten Waldweg versperrt eine Schranke, ein Seil oder ein Schild „Privé“ die Zufahrt. Da inzwischen auch die meisten Campingplätze geschlossen sind, kann die Suche nach einem sicheren Platz für die Nacht schon mal ein paar Stunden dauern.

nördlich der Stadt Quebec auf dem Mont-Belair

Nebel und kein Stellplatz für die Nacht




Auch am St-Lorenz-Strom ist das kaum anders. Dort erwarteten uns zwei andere tolle Erlebnisse. Von Tadoussac aus starteten wir zu einer Wal-Beobachtungs-Tour. Wir zogen so ziemlich alle Klamotten an, die wir dabei haben. Zusätzlich bekamen wir wasserdichte Anzüge. 25 Personen quetschten sich auf die engen Sitze eines Zodiak-Schlauchboots. Bald merkten wir, wie gut es war, dass wir uns so warm angezogen hatten, denn auf dem Strom pfiff uns der eiskalte Fahrtwind um die Ohren und Nasen. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Meeressäuger auftauchten. Oft sahen wir schon solche Bilder im Fernsehen, doch diese Riesen, ein Buckelwal kann bis zu 25 m lang werden, leibhaftig in wenigen Metern Entfernung vor sich elegant durchs Wasser gleiten zu sehen und zu hören, wie sie geräuschvoll ausatmen und dabei meterhohe Wasserfontänen in die Luft pusten, ist etwas ganz anderes. Es ist einfach großartig, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir haben nicht gezählt, wie oft wir bewundern konnten, wenn die Wale zuerst ihren riesigen Körper zu einem Buckel aus dem Wasser wölben und dann geräuschlos in die Tiefe abzutauchen, wobei die gewaltige Fluke (Heckflosse) zunächst hoch in die Luft ragt und dann fast ohne Spritzer im silbrigen Nass verschwindet. Auch Jutta war total begeistert von diesem Naturschauspiel. Für sie hatte sich die Fahrt doppelt gelohnt, denn sie wird sehr schnell seekrank. Aber sie hatte allen Mut zusammengenommen, ein paar Reisetabletten eingeworfen und konnte nun auch auf sich selbst stolz sein, dieses Abenteuer bestanden zu haben.


schönes Herbstwetter für wenige Stunden

Blick auf den St.-Lorenz-Strom

herrlich, oder?








Fjord-du-Saguenay

Was haltet Ihr vom neuen Gartenzwerg-Model(l)?
Einen Tag später setzten wir mit der Fähre über den St.-Lorenz-Strom, der an dieser Stelle ca. 30 km breit ist, auf die Ostseite über. Wale bekamen wir diesmal nicht zu Gesicht, dafür aber eine ganze Menge Delfine. Ganze Gruppen oder Schulen, wie man bei Delfinen sagt, schwammen neben der Fähre her. Immer wieder tauchten ihre dunkel glänzenden schlanken Körper mit der spitzen Rückenflosse auf, um im nächsten Moment schon wieder ins diesmal dunkle Wasser abzutauchen. Spielerisch leicht wirken ihre Bewegungen. Wer diese herrlichen Tiere einmal in ihrer freien Wildbahn beobachten konnte, kann nur jede Delfin-Show verurteilen, in der die Delfine gezwungen werden, abartige und ihrer Natur völlig widersprechende Kunststücke vorzuführen.


perfekt eingekleidet für die Whale Watching Tour

es ist WIRKLICH kalt!

unser Boot war etwas größer

der Wal macht einen Buckel, ...

... um dann in die Tiefe abzutauchen


Kolission zweier Wale


der Blas eines Wales, wenn er ausatmet





zum Schluss eine Robbe

Nun liegt noch die Gaspesie-Halbinsel und der Rückweg nach Halifax vor uns. Dort werden wir unseren Gecko wieder seefest machen und an die Reederei übergeben, damit sie ihn sicher nach Hamburg schippert. Und so, wie alles einmal zu Ende geht, nimmt auch unsere Reise ihr Ende. In zwei Wochen, nach mehr als sechs Monaten, werden wir wieder deutschen Boden unter unseren Füßen haben und endlich (ja, wir sehnen uns danach!) in einem richtigen Bett schlafen, nämlich zu Hause.

Was wir auf den letzten ca. 1000 Kilometern erleben werden und wie sich unser Rückflug gestaltet, könnt ihr natürlich wieder hier im Blog lesen. Und ich werde auch wieder einen zusammenfassenden Bericht mit ein bisschen Statistik vorbereiten, doch das wird ein bisschen länger dauern.

Bleibt also auch weiterhin neugierig und uns bis zum Ende treu.

Bis bald... :-)


P.S.: Gestern schrieb ich diesen Text. Jetzt sitzen wir wieder mal in einem Tim-Hortons-Cafe in Sainte-Anne-des-Monts (zum zweiten Mal ohne Steckdosen, also muss ich mich beeilen, damit die Akkuladung des Laptops reicht) und draußen regnet es bei 5 Grad in Strömen. Es ist wirklich zum Verzweifeln...