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Sonntag, 7. Juni 2015

Trauminsel Olchon

2. Juni 2015 Wir fuhren zurück nach Chushir, um die Genehmigung für den Nationalpark zu besorgen. Eine nette Oma in einem neu gebauten Babajaga-Häuschen stellte sie uns für drei Tage aus. Kostenpunkt 710 Rubel.Ein Spottpreis, verglichen mit afrikanischen Nationalparks. Danach Einkaufen in zwei kleinen Tante-Emma-Läden und dem größeren Supermarkt. Hier herrscht z. Zt. So etwas wie Neukapitalismus. An allen Ecken sieht man kleine und winzige Lädchen und Büdchen, die alle irgendetwas verkaufen oder vermieten wollen. Überall wird gewerkelt und gebaut. Es gibt schon eine ganze Menge Touristenunterkünfte. Ich denke, über kurz oder lang werden sich hier einige Tragödien abspielen, nämlich wenn die ersten Geschäfte im Konkurrenzkampf unterliegen.

Vor dem Supermarkt im Auto sitzend aktualisierte ich bei bestem Netz (wenn es das doch auch bald bei uns zu Hause gäbe!) unseren Blog. Während wir so im Auto saßen, begann urplötzlich ein heftiger Sturm. Zuerst flogen die kleinen Mülltonnen vor dem Supermarkt davon, dann sah man innerhalb einer Minute nur noch Sand. Die Luft war rundum fahlgelb und verhüllte die auf der anderen Straßenseite stehenden Häuser völlig. Zum Glück traf der Sandsturm den Gecko von hinten, sonst wäre bei längerer Dauer die Windschutzscheibe zu Milchglas geworden. Der Sturm rüttelte am Auto, doch das hielt (natürlich!) den Naturgewalten stand. Ein kleines Mädchen hielt sich ein Schulheft vors Gesicht und huschte in den Supermarkt. Der ganze Spuk dauerte nur wenige Minuten. Dann regnete es kurz, und schon atmeten wir wieder klare Luft.

Sandsturm in Chushir

Wir machten uns auf, um den Norden der Insel zu erkunden. Der kurze, aber heftige Regen hatte die Piste dort, wo sie aus schwarzer Erde bestand, ziemlich aufgeweicht.Die grobstolligen BF-Goodrich-AT-Reifen wirbelten kleine Erdklumpen durch die Luft und ließen sie in die Radkästen prasseln.

Wir erreichten wieder die uns schon bekannten drei Verbotsschilder, die mit unserem 3-Tage-Permit nun kein Hindernis mehr darstellten. Kurz danach stand ein offener Schlagbaum mit einer Hütte daneben. Niemand war anwesend, also fuhren wir ohne Halt weiter.

Was dann kam, hatten wir selbst in Afrika noch nicht erlebt, und dort sind wir schon haarige Pisten gefahren. Der „Weg“ führte kurvenreich durch den Nadelwald. Sandbuckel, Wurzeln und halbmetertiefe Mulden ließen nur Schritttempo zu.Doch es sollte noch schlimmer kommen. Der Wald trat zurück und es begann eine mehrere hundert Meter lange Tiefsandpassage. Und ausgerechnet hier kam uns ein Mitsubishi entgegen, der aber sofort die Spur frei machte.
Ich musste aber sowieso anhalten, da ich an den Vorderrädern die Sperren an den Radnaben einschalten musste, um mit Allradantrieb weiterfahren zu können. Ab hier ging es wirklich nur noch per 4x4 weiter. Um überhaupt erst mal wieder aus dem Tiefsand herauszukommen, musste ich sogar den Kriechgang einlegen.

ohne Allradantrieb geht hier gar nichts

Hier auf dieser riesigen Lichtung, vielleicht 500 m x 500 m groß, wurden sogar einige neue Häuser gebaut. Wie die Bauherren wohl ihr Material hierher transportieren? Man sah auch noch die Reste alter Baracken. Bis 1951 existierte hier ein Gulag (Strafgefangenenlager), in dem die Häftlinge für die damals hier stehende Fischfabrik arbeiten mussten. Später verschwand alles unter einer bis 90 m hohen Wanderdüne.

Wir ackerten weiter über diesen „Waldweg“, der lt. Navi eine gelbe Straße sein sollte.Schließlich erreichten wir eine Art Camp. Es bestand aus zwei einfachen Toilettenhäuschen (Modell Zielloch) und grob gezimmerten, robusten Holztischen und -bänken. Ja, und Müllcontainer gibt’s hier! Hier gefällt es uns, hier bleiben wir. Ich hatte auch keine Lust mehr, das Auto über diese Piste zu quälen.

Eine Tafel informierte darüber, dass man hier sogar Feuer anzünden darf. Und schon schleppten wir trockenes Holz herbei. Die neue Outdoor-Säge bewährte sich bestens.


Wir standen mitten zwischen Kiefern. Lärchen und lila blühendem Rhododendron an der vielleicht zehn Meter hohen Küste mit herrlichem Blick auf den See und die dahinter aufragenden Berge. Was will man mehr?





Am Abend prasselte das Feuer. Der eine oder andere Wodka gehörte natürlich dazu...







3. Juni 2015  Die Nacht war unruhig und laut. Der Wind frischte auf und ließ die Bäume heftig rauschen. Auch der See machte sich mit den Geräuschen der Wellen bemerkbar. Übertönt wurde alles von irgendwelchen krakeelenden Vögeln, die die ganze Nacht keine Ruhe gaben.

Das Aprilwetter setzte sich fort, das hier eben erst im Mai/Juni stattfindet. Sibirien ist eben kein Mitteleuropa.

Gegen Mittag liefen wir dreimal die Düne hinunter , um Wasser vom See zu holen. Mit Gummilatschen ins eiskalte Wasser, um die Flaschen zu füllen. Schon beim zweiten Mal erschien es mir nicht mehr so eisig. Ich schätze, es hat so 4 -5 Grad. Eigentlich will ich da mal ganz hineinspringen...

Als Mittagessen gab es zwei verschiedene Kascha, eins mit Reis, das andere vermutlich mit Hirse. Im Prinzip entpuppte sich beides als geschmacklose Pampe. Von dem Rindfleisch, das das Etikett versprach, konnten wir kaum etwas entdecken. Mit Salz, Pfeffer, Knobi und Chilli konnte man es dennoch ganz gut essen. Es machte zumindest satt.

Am Nachmittag Holz ranschleppen und sägen, vor dem Regen fliehen, dann wieder die Sonne genießen.

Als hübsche Besucher stellten sich heute kleine Vögel mit langen Schnäbeln ein. Sie liefen an den Bäumen hoch und kopfüber wieder runter (wie unsere Kiebitze) und holten sich ohne jede Scheu die Brotkrümel vom Tisch. Hübsche Tierchen, über deren Gesellschaft und Vertrauen wir uns richtig gefreut haben.



Ärger hingegen nach wie vor mit der Elektrik des Autos. Nach meinen Spannungsmessungen und laienhaften Vermutungen ist scheinbar der Solarregler nicht in Ordnung. Die Solarpanels lieferten bei bedecktem Himmel 20,7 Volt beim Regler an, dieser gab aber nur 10,67 Volt an die Bordbatterien ab (statt mehr als 14 Volt). Und das, obwohl sowohl Regler als auch Batterien vor der Abreise neu installiert wurden! Auf meine Anfrage per Mail bei der ausführenden Werkstatt, die ich schon vor drei oder vier Wochen schrieb, erhielt ich bis jetzt keine Antwort! (Michi, falls Du mitliest, melde Dich bitte per Mail!)

4. Juni 2015 Wir wanderten am Ufer südwärts bis zum nächsten „Dorf“, dem ehemaligen Gulag und sahen uns dort ein bisschen um. Viel gab es nicht zu entdecken, außer ein paar verfaulten und halb eingestürzten Holzbaracken und drei oder vier bewohnten Häusern.

Auf dem Rückweg bewunderten wir auf dem Sandstrand einen wirklich großen, wunderschönen Schmetterling, der unserem Schwalbenschwanz stark ähnelte, nur dass die bei uns lebenden m. E. nicht so groß werden. Dieser hier hatte eine Spannweite von vielleicht 13 – 14 cm. Und das Eigenartigste war, dass er nicht wegflog. Ich konnte mich ihm mit der Kamera bis auf wenige Zentimeter nähern.



Danach war wieder Wasser holen und auch Baden angesagt. Baden ist etwas übertrieben, aber ich wollte wenigstens mal im Wasser des Baikal gewesen sein. Das Verblüffende daran war, dass es sich gar nicht so kalt anfühlte. Ich schätzte die Wassertemperatur auf 4-6 Grad. Auf jeden Fall war es recht erfrischend...



Der Nachmittag lief wieder ganz ähnlich ab wie an den Tagen zuvor. Von Nordosten her näherten sich dunkle Wolken. Sie zogen entweder einen weißen oder einen dunkelgrauen Regenvorhang vor die Berge am Westufer, je nach Sonneneinstrahlung.Inzwischen können wir auch schon die Sprache des Sees ein wenig verstehen. Verfärbt sich die Wasseroberfläche in Ufernähe dunkelgrau und kräuselt sich, dauert es nur noch wenige Minuten bis zum nächsten Regenschauer. Ein plötzlicher kalter Windstoß spricht die letzte Warnung aus, und wenige Augenblicke später öffnet der Himmel seine Schleusen. Zum Glück hatten wir das schon gesägte Feuerholz rechtzeitig unterm Auto ins Trockene gebracht.

weißer Regenvorhang vor den Bergen

Den Regenschauer saßen wir im Auto aus. Gelegenheit, Bilder von den Kameras auf den Laptop zu kopieren und auf den externen Festplatten zu sichern.

Das Wetter hatte sich beruhigt, wir saßen noch im Auto, als sich ein junger Bursche in Radfahrerklamotten dem Gecko näherte.Wir begrüßten ihn mit „Hallo“ und Dobrij djen“, er sah uns erstaunt an, sagte kein Wort und verschwand wieder. Eine Viertelstunde später baute er in 100 m Entfernung ein kleines Zelt auf. Komischer Kauz.

Das prasselnde Lagerfeuer wärmte uns (der Wodka natürlich auch). Ich wusste nicht, dass Lärchen ein so gutes Feuerholz liefern. Es brennt lange und heizt ordentlich.

5 . Juni 2015 Irgendwann in der Nacht wurde es lauter und lauter. War es der Wind in den Bäumen? Die Wellen? Es wurde so laut, dass wir nur noch unruhig schliefen. Als wir frühzeitig aufstanden, staunten wir nicht schlecht. Weiß gekrönte Wellen rauschten unentwegt ans Ufer. Was für ein Schauspiel! Heute machte dieser Teil des Baikals, der hier auch „Kleines Meer“ genannt wird, alle Ehre.




Mit ein bisschen Wehmut verließen wir am Vormittag dieses Paradies. Tapfer meisterte der Gecko die 4x4-Piste bis zum Ausgang des Nationalparks. Dabei stand plötzlich der Radfahrer vom gestrigen Abend mitten auf dem sandigen Weg und wechselte seine Klamotten. Wir warteten, bis er den Weg frei machte und fuhren winkend an ihm vorbei. Er schaute nicht einmal hoch.

In Chushir einkaufen, ein paar Whatsapp-Nachrichten beantworten und dann kurze Fahrt zum etwas außerhalb gelegenen Schamanen-Felsen.Ein riesiger zerklüfteter Felsbrocken von vielleicht 30 oder 40 m Höhe ragt am Ufer aus dem Meer empor. Direkt davor prangt ein großes Schild. „STOP! Verbotenes Gebiet!“ So oder ähnlich lautet die russische Inschrift, was die Russen natürlich nicht hindert, sich mit großen Lettern an den unteren Felspartien zu verewigen. Trotzdem hat dieser Ort etwas Magisches. Man muss sich nur darauf einlassen.



Einige Spaziergänger begegneten uns hier. Sie schauen uns nicht einmal an, um uns Gelegenheit zum Grüßen zu geben. Sind den alle Leute hier irgendwie gestört? Der Ranger, der uns heute früh schon zum zweiten Mal kontrollierte, war doch total nett und freundlich? Sehr eigenartig.

Nach Norden hin erstreckt sich ein weiter, fast weißer Sandstrand. Weiße Wellenkämme rauschen ans Ufer. Was für ein Traumstrand, und das in Sibirien...



Wir verließen Chushir in Richtung Südosten und fahren ca. 15 km teilweise heftige 4x4-Piste und gelangen dann zum Schwanensee. Leider ist von ihm nur ein großer, fast ausgetrockneter Tümpel übrig. Weidende Kühe und Pferde ersetzen die Schwäne.



Die leichte Enttäuschung war sofort vergessen, als wir den im Supermarkt erstandenen Omul verspeisten. Dieser Fisch lebt nur im Baikal. Der eine normal, der andere kalt geräuchert. Ich habe schon viele verschieden Fische gegessen, aber der Omul übertrifft alles um Längen. Ein Gedicht von einem Fisch! Und der Räuchermeister, der ihn so zubereitet hat, versteht offensichtlich viel von seinem Handwerk. Wir dankten ihm unbekannterweise.

geräucherter Omul, eine Delikatesse allererster Klasse


Die Nacht wollten wir wieder auf dem Stellplatz verbringen, auf dem wir schon die ersten beiden Tage standen. Kaum dort angekommen, umschwirrten uns diese hässlichen Fliegen, die wir anfangs nur am Strand gesehen hatten. Inzwischen weiß ich, dass diese Plage in zwei, drei Wochen vorbei ist, was uns allerdings wenig nützt. Um so mehr freuen sich alle Tiere, denen die Fliegen als willkommene Proteinquelle dienen.


alt und neu nebeneinander in einem winzigen Dorf
unser letzter Abend auf der Insel Olchon