Donnerstag,
13. Juli 2017
Die Sonne weckte uns. Wir konnten
sogar draußen frühstücken, da ein kräftiger Wind uns die Mücken
weitestgehend vom Hals hielt. Doch bald zog eine dunkle Wolkenfront
heran. Wir schafften es gerade noch, alles zusammenzupacken als der
Regen auch schon anfing.
Auf der P21 ging es nun weiter
westwärts. Wir kamen ins „Tal des Ruhmes“. Hier erinnert eine
Gedenkstätte an die gefallenen Sowjetsoldaten, die in diesem Gebiet
im September 1944 die Angriffe der deutschen Faschisten, die
Murmansk erobern wollten, erfolgreich abwehrten und zurückschlugen.
An einer langen Wand sind mehr als 320 schwarze Tafeln angebracht,
jede mit 26 eingravierten Namen gefallener Soldaten. Vor der Wand
liegen viele Gräber mit weiteren Namen. Weit über 8000 Gefallene
gab es auf sowjetischer Seite. Wie viele Deutsche hier ihr Leben
ließen, ist mir nicht bekannt.
Auch wenn wir mit diesem unseligen
Krieg nichts zu tun hatten, fühlen wir uns an solchen Gedenkstätten
zwar nicht schuldig, aber uns beschleicht jedesmal die Scham. Wir
schraken zusammen, als ein vorbeifahrendes Auto lange hupte. Bis wir
bemerkten, dass fast jedes Auto hupte. Es ist wohl ein Gruß der
Vorbeifahrenden an ihre toten Helden.
Da wir wissen, wie sehr die Russen
ihre Helden verehren, erscheint es uns umso unverständlicher, dass
sie solche Gedenkstätten nicht besser pflegen. Auch einige weitere
kleine Mahnmale in der Nähe entlang der P21 befinden sich in keinem
guten Zustand. In Wolgograd, das wir vor zwei Jahren besuchten, sah
das entschieden anders aus.
gepflegt sieht anders aus |
Der Eindruck, dass hier im hohen
Norden Russlands kein Wert auf Äußerlichkeiten gelegt wird,
verstärkte sich noch einmal in Zapoljarny. Auch dort befinden sich
die alten Wohnblocks in einem katastrophalen Zustand. Geld scheinen
die Menschen jedoch zu haben, denn viele dicke und neue Autos fuhren
durch die Stadt.
Wir tätigten die letzten Einkäufe
und wollten auch ein letztes Mal, bevor wir nach Norwegen ausreisten,
günstig Diesel tanken. Doch Pustekuchen, die einzige und letzte
Tankstelle vor der Grenze war wegen eines technischen Defekts
geschlossen. Na prima!
Da wir schon auf der Strecke bis
hierher an vielen militärischen Einrichtungen vorbei gefahren waren,
wurde uns bald klar, dass wir vor der Grenze keinen Stellplatz mehr
finden würden. Einige Kilometer nach Zapoljarny wies ein Schild
darauf hin, dass wir uns im Grenzgebiet befinden (ca. 50 km vor der
Grenze!). Viele Kilometer fuhren wir nun an einem Zaun entlang, der
an vielen Stellen mit Videokameras überwacht wurde. Man ist gerade
dabei, die Straße perfekt auszubauen.
Um 15:37 Uhr kamen wir am
Grenzübergang an. Großes Rätselraten, wie lange wir diesmal
brauchen würden. Nur ein Auto stand vor uns. Wir waren optimistisch,
da die Ausreise aus Russland bisher immer problemlos verlief. Die
Passkontrolle erfolgte sowohl freundlich als auch schnell. Nur der
Zollbeamte hatte sich offensichtlich in unser Auto verliebt. Der
Drogenhund merkte schnell, dass da nichts zu holen ist. Dafür gab
sich der Zöllner größte Mühe. In sämtlichen Fächern und Kästen
wühlte er herum, verlor dabei mehrmals sein fesches Mützchen und
kam schließlich schwitzend aus dem Gecko gekrochen. Freilich hätte
ich ihm die Suche erleichtern können, indem ich das Dach
hochgeklappt hätte, aber schließlich hatte ich ihn nicht darum
gebeten, in unserem Auto so herumzukramen. Schließlich durfte ich
auch noch die Dachbox öffnen. Als er auch dort nichts fand, was er
beanstanden konnte, zog er missmutig und grußlos davon. Nun ja, er
hat seinen Job gemacht. Do swidanija, Rossija!
Dann waren die Norweger an der Reihe.
Hej Norge! Freundlich lächelnd begrüßten sie uns und waren richtig
locker drauf. Was für ein Unterschied! Der Zöllner guckte mal da
und mal dort, fragte nach Schnaps und Bier und glaubte mir natürlich,
dass wir nur die eine angebrochene Flasche Wodka und fünf Dosen Bier
dabei hatten. Und das war's schon! Neuer Rekord! Nach insgesamt genau
einer Stunde ließen wir die Grenze hinter uns.
Und dann fühlten wir uns plötzlich
wie in einer anderen Welt. Die ersten Häuschen tauchten auf. Schöne,
saubere Farben, gepflegte Gärten, das hatten wir alles schon lange
nicht mehr gesehen. Das hier ist Skandinavien, aber die russischen
Seite gehört doch auch zu Skandinavien. Wie kann es nur zu solch
gravierenden Unterschieden kommen!? Es liegt wohl an den Menschen
selbst.
Unser Fazit zu Russlands Nordwesten
fällt ernüchternd aus. Auch im fernen Sibirien trafen wir vor zwei
Jahren auf große Armut, doch dieses Desinteresse an den eigenen
Lebensumständen war für uns neu. So manches könnten die Russen mit
geringem Aufwand ändern, wenn sie nur wollten. Aber vielleicht gibt
es ja auch ganz andere Gründe, die uns verborgen geblieben sind. Ein
Urteil darüber zu fällen wäre anmaßend. Das uns als Ausländer,
Gäste und Touristen nicht zu.
In der norwegischen Grenzstadt
Kirkenes begrüßte mich der Geldautomat (wir brauchten ja
norwegische Kronen) auf Deutsch! Ein paar Kilometer weiter hielten
wir an einem schönen Rastplatz mit Tischen, Bänken, sauberen
Toiletten und frisch gemähtem Rasen. Wie ungewohnt! Als wir uns an
einen der Tische setzten, gab es nur drei große, tief
eingeschnittene Buchstaben. Es waren kyrillische Zeichen. Kein
Kommentar. Nebenbei: Auf unserer Fahrt durch Russlands Nordwesten
kamen wir natürlich auch an vielen Felsen vorbei. Ich glaube, es war
kein einziger dabei, der nicht irgendwie beschmiert worden war. Noch
einige Kilometer weiter fanden wir einen Stellplatz für die Nacht.
Standort: N 70° 11' 27.3“ E 28°
11' 59.4“
gefahrene Strecke: 315 km
Freitag,
14. Juli 2017
Unser heutiges Ziel war Verdö auf der Halbinsel Varanger und
danach das verlassene Fischerdorf Hamningberg. Die Fahrt dorthin auf
der E75 war einfach wunderschön. Uns gefiel einfach alles, die
bunten Holzhäuschen, der Blick auf den Varangerfjord, das zunächst
flache Land. Auch das miese Wetter, Nieselregen aus tief hängenden,
grauen Wolken bei 12 Grad, tat unserer Begeisterung keinen Abbruch.
In dem kleinen Ort Nesseby besuchten
wir die hübsche Kirche, eine der wenigen, die nicht durch die
Deutschen im WK II niedergebrannt wurden. Das dortige
Vogelschutzgebiet hätte uns auch interessiert, aber der eiskalte
Wind hielt uns von einem Besuch ab (Weicheier!)
Je weiter östlich wir kamen, desto
hügeliger wurde das Land, aber auch immer kahler. Von Verdö aus
führt eine sehr schmale Straße nach Hamningberg. Aller paar hundert
Meter gibt es Ausweichstellen, wo auch die hier häufig fahrenden
Womos aneinander vorbei kommen. Wie schön muss es hier erst sein,
wenn die Sonne scheint. Überall blühten weiße Blumen, gelbe
Butterblumenteppiche breiteten sich aus, oft unterbrochen von lila
Blütenmeeren. Selbst direkt am Straßenrand blühte es überall.
Wunderschön, trotz Regen und Nebel!
Dann erhoben sich mächtige Berge vor
uns und es wurde richtig bizarr. Das schmale Asphaltband schlängelte
sich nun zwischen schroffen Felsklippen hindurch. Nebelschwaden
waberten dazwischen. Es fehlten nur noch die Trolle!
Diese sahen wir dann in Hamningberg
vor einigen Häusern, kleine, liebevoll gestaltete Kobolde. Der Ort
besteht aus einem reichlichen Dutzend Häusern, die nur noch im
Sommer genutzt werden. Bis in die sechziger Jahre wurde hier fleißig
Fisch gefangen, doch dann lehnte man den Ausbau des Hafens ab und das
Leben hier kam zum Erliegen.
Nach einem Spaziergang durch den Ort
wollten wir uns im einzigen Cafe etwas aufwärmen. Zum Glück
studierten wir die draußen neben der Tür ausgehängte Preisliste
vorher. Eine Fischsuppe 150 Kronen, ein Bier 85 Kronen, eine Waffel
50 Kronen. Bei einem Kurs von knapp 1:10 kostet die Fischsuppe also
mehr als 15 Euro. Nein danke!
Wir fuhren ein Stück zurück und
stellten uns zwischen den zerklüfteten Felsen, die aus Schiefer
bestehen, für die Nacht auf. Der Nebel wurde immer dichter. Das
Thermometer zeigte nur noch 9 Grad an. Gut verpackt unternahmen wir
noch einen kurzen Spaziergang am arktischen Sandstrand. Durchgefroren
wollten wir im Gecko die Standheizung in Gang setzen, doch die sprang
nicht an. Wir hatten wohl die Bordbatterien etwas zu stark
beansprucht. Zum Glück wärmen die Schlafsäcke recht ordentlich.
Standort: N 70° 30' 11.8“ E 30°
35' 18.7“
gefahrene Strecke:178 km
Kirche von Hamningberg |
alte Häuser mit Grasdächern |
Hier oben im Hohen Norden müssen die Satellitenschüsseln leicht nach unten ausgerichtet werden, um den Empfang zu sichern. |
Rentiere im Ort |
Sonnabend,
15. Juli 2017
Der Nebel von gestern Abend hatte sich
noch nicht verzogen. Bei schönem Wetter wären wir gerne noch einen
Tag an diesem Platz geblieben. So jedoch fuhren wir die gleiche
Strecke zurück, die wir gestern hierher gekommen waren. Noch einmal
ging es durch diese bizarre Felsenlandschaft, die an manchen Stellen
durch den Nebel schon fast mystisch anmutete. Um nach Vardö, der
östlichsten Stadt Norwegens, die auf der Insel Vardöya liegt, zu
gelangen, mussten durch einen fast 3 km langen Tunnel fahren, der an
seiner tiefsten Stelle 88 m unter der Wasseroberfläche liegt. Wir
wollten es kaum glauben, dass wir uns nun weiter östlich befanden
als St. Petersburg, Kairo und Istanbul.
Zuerst suchten wir den Hafen auf, da
wir die berühmte Vogelinsel Hornöy besuchen wollten, wo unglaublich
viele Vögel, u.a. auch die Papageientaucher leben. Bei einem Preis
von 400 Kronen (fast 42 Euro) p.P. Verging uns jedoch die Lust.
Später erfuhren wir, dass wenige Tage zuvor auf der Insel ein großer
Felsen weggebrochen sei, so dass z. Zt. nur ein Drittel der Insel
zugänglich ist.
Stattdessen spazierten wir einmal um
die achteckige, sternförmig angelegte Festung mit vielen alten
Kanonen. Sie ist die nördlichste Festung der Welt. Inzwischen hatte
sich der Nebel verflüchtigt und die Sonne lachte vom Himmel.
Festung von Vardö |
Kirche in Vardö |
Oft steht im Garten ein kleines Häuschen, das dem großen stark ähnelt. Darin wohnt der Troll des Hauses. (Skandinavier sind abergläubisch!) |
Den nächsten Versuch, seltene Vögel
beobachten zu können, starteten weiter südlich auf der Halbinsel
Ekkeröy. Auf dem ca. 1,5 km langen Anmarsch zum ersten Vogelfelsen
kamen wir an Überresten des WK II vorbei. Die Deutschen hatten hier
1941 zwei große Kanonen mit einer Reichweite von 30 Kilometern,
Unterkünfte Bunker usw. errichtet. Davon wollten wir uns nicht
beeindrucken und die Laune verderben lassen und liefen weiter. Schon
von Weitem hörten wir das Geschrei der Unmassen von Möwen und
anderen Vögeln. Außerdem rochen wir es schon von Weitem. Z. Zt.
sollen rund 20000 Dreizehen-Möwen hier an den hohen, senkrecht ins
Meer abfallenden Felsenklippen leben und brüten. Jeden noch so
kleinen Felsvorsprung nutzen die hübschen Möwen, um darauf zu
brüten.Wir konnten sogar ein Möwen-Küken beobachten, wie es von
einem Altvogel gefüttert wurde. Über 22 verschieden Vogelarten soll
es hier geben.
Da die Sonne wieder verschwunden war,
kühlte es sich auch schnell wieder stark ab. Wir liefen zurück zum
Auto und übernachteten dann auf dem gleichen Stellplatz wie schon
zwei Tage zuvor.
Standort: N 70° 11' 27.3“ E 28°
11' 59.4“
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