Montag,
10. Juli 2017
Bis Teriberka, einem kleinen Nest am
Polarmeer, waren es nur etwas mehr als 60 km, davon allerdings 42 km
Schotterpiste. Der Ort erlangte eine gewisse Berühmtheit, weil dort
der mit einem Oscar prämierte Film „Leviathan“ gedreht wurde.
Nicht deswegen fuhren wir dorthin, schon weil wir erst später davon
erfuhren, sondern weil wir einfach noch ein bisschen mehr von der
Halbinsel Kola sehen wollten. Außerdem wollten wir unbedingt bis an
die Küste des Polarmeeres gelangen.
Während es an unserem letzten
Stellplatz noch viele Krüppelbirken gab, verschwanden diese schon
wenige Kilometer weiter östlich völlig von der Bildfläche. Gräser,
Sumpfpflanzen und Flechten beherrschten nun das Bild.
Die Schotterpiste ließ sich relativ
gut befahren.Weit schweifte dabei unser Blick über das leicht
hügelige Land. Grüne, niedrige Vegetation, dazwischen immer wieder
dunkelblaue Seen und kleine, weiße Schneefelder ergaben ein so
friedliches Bild, das leicht darüber hinwegtäuschen konnte, wie
unwirtlich und lebensfeindlich diese Landschaft in Wirklichkeit ist.
Tundralandschaft |
Kunst am Wegesrand |
Dann erreichen wir Teriberka. Der
kleinere Teil des Ortes liegt malerisch an einer sandigen Bucht des
Polarmeeres. Doch sobald man sich dem Dorf nähert, erschrickt man
fast. Trotz Sonnenschein wirkte der Ort fast trostlos. Alte
Holzhäuser, grau mit blinden Fenstern, fallen in sich zusammen. Noch
mehr erschrickt man, wenn man bemerkt, dass in manchen dieser
Bruchbuden tatsächlich noch Menschen hausen. In einem kleinen
Gärtchen wuchsen immerhin ein paar Kartoffeln. Natürlich gibt es
auch ein paar größere Steinhäuser, zwei oder drei sogar mit neu
gedecktem Dach, aber sie ändern nichts an dem schlimmen
Gesamteindruck.
Wir laufen zu einer Reihe von acht
neuen, dunkelrot angestrichenen Holzhäuschen, die direkt am Strand
stehen.Zu ihnen gehört eine winzige Kapelle mit Zwiebeltürmchen und
ein größeres Gebäude, das ein Restaurant beherbergt, aber noch
nicht ganz fertiggestellt ist. Ein zaghafter Versuch, Touristen
hierher zu bringen.
in Teberka |
eins der besseren Häuser |
Schiffswrack |
Ferienhäuschen warten auf Gäste |
Für eine Weile kehrten wir dem Ganzen
den Rücken, indem wir uns auf eine rustikale Holzbank am Strand
setzten und aufs Meer hinausschauten. Die Sonne Die Sonne hatte den
groben Sand erwärmt. Überhaupt konnten wir kaum glauben, am
Polarmeer zu sitzen, so warm war es. In der Ferne flatterten die
Sommerkleider zweier Frauen im lauen Wind.
Ruhepause am Strand |
Wir fuhren weiter zum größeren Teil
des Ortes, der sich hinter einem Hügel versteckt. Auf dem Weg
dorthin kamen wir an einem Schiffsfriedhof vorbei. Die kläglichen,
total verrosteten Gerippe von vielleicht einem Dutzend Boote und
kleinerer Schiffe verrotten hier am Ufer. Was für ein deprimierender
Anblick! Doch es sollte noch schlimmer kommen!
Schiffsfriedhof |
Der Ort, der vor 30 Jahren noch 5000
Einwohner zählte, heute sind es noch 1000, empfing uns mit Ruinen
links und rechts der Straße. Man könnte meinen, ein Krieg hätte
hier getobt. Doch es ist „nur“ Verfall.
Ruinen am Ortseingang |
Langsam fuhren wir durch diesen
schrecklichen Ort. Mehrere Wohnblocks aus Sowjetzeiten tauchten vor
uns auf. Auch sie haben bald den Zustand von Ruinen erreicht, doch
sie sind bewohnt! Ich schäme mich vor den Menschen, die armselig
gekleidet herumlaufen, diese Trostlosigkeit, die sie tagtäglich vor
Augen haben, mit der Kamera festzuhalten.
Wenigstens die Schule sieht noch
einigermaßen ordentlich aus, ebenso das Eishockeyfeld daneben. Ob es
im Winter überhaupt noch genutzt wird? Einen Lichtblick stellt ein
Betrieb dar, der wahrscheinlich Fische verarbeitet. Seine Gebäude
strahlen in frischem Rot und Blau. Aber es ist wohl der einzige
Betrieb, der hier noch arbeitet. Früher gab es gleich mehrere
Fischverarbeitungsbetriebe.
Und dann sehen wir noch einen
Farbtupfer. Zwei sehr junge Frauen schieben einen Kinderwagen vor
sich her über die Schotterpiste. Wie lange aber werden sie hier noch
aushalten? Wir sind froh, diesen gespenstischen Ort verlassen zu
können. Er ist wohl ein Beispiel dafür, wie es aussieht, wenn der
Staat und die regionale Verwaltung komplett versagen.
dieses Haus ist bewohnt! |
Wir fuhren zurück zu unserem
Stellplatz der letzten beiden Tage. Diesmal schlugen wir unser Lager
allerdings ein paar hundert Meter weiter direkt am Seeufer auf. Pfeif
auf die paar Mücken!Noch einmal genießen wir die Mitternachtssonne
und versuchen, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Dabei werde
ich einen Gedanken nicht los: Wie viele solcher trostloser Orte mag
es in dem riesigen Russland geben?
Standort: N 68° 53' 15.2“ E 34°
13' 55.8“
gefahrene Strecke: 132 km
Schnee mitten im Juli |
"Leitplanken" |
Dienstag,
11. Juli 2017
Auf nach Murmansk, das mit seinen
reichlich 300000 Einwohnern (2010) die größte Stadt in der Arktis
ist. Die Einwohnerzahl hat sich übrigens seit 1989 um ein Drittel
verringert. Damals lebten noch 470000 Menschen hier!
Unser erstes Ziel war der
Atomeisbrecher „Lenin“. Er war der erste mit Kernenergie
angetriebene Eisbrecher der Welt. Seit einigen Jahren liegt er nun im
Hafen von Murmansk, der durch den Golfstrom auch im Winter eisfrei
bleibt, und dient als Museum. Doch leider nicht für uns. „Montag
und Dienstag geschlossen“, steht auf einem Schild vor dem Koloss.
Schade, echt schade, denn auf diesen Besuch hatte ich mich echt
gefreut. Später besuchten wir noch das Denkmal „Wartende Frau“.
Sie wartet auf die Heimkehr ihres Mannes von hoher See.
"Wartende Frau" |
Natürlich ließen wir uns auch
„Aljoscha“ nicht entgehen, eine monumentale Betonskulptur im
Gedenken an die Helden der Sowjetarmee, die im 2. Weltkrieg Murmansk
erfolgreich gegen die deutschen Angriffe verteidigten. Hoch über dem
Hafen blickt der Rotarmist gen Westen.
Blick auf einen Teil von Murmansk |
der Murmansker Hafen |
Sogar hier an diesem Ehrenmal fiel uns
auf, was uns schon bei der Fahrt durch die Stadt und besonders in den
Wohngebieten störte: Alles wirkt irgendwie ungepflegt. Die riesigen
Wohnblocks, die größtenteils aus den siebziger und achtziger Jahren
stammen dürften, haben seit ihrer Errichtung scheinbar nie wieder
Farbe bekommen. Viele Bewohner haben die Fenster ihrer Wohnung durch
neue ersetzt, der eine in Weiß, der andere in Braun. Der
Gesamteindruck bleibt einfach schlimm. Warum zum Beispiel fährt hier
niemand mit einem Rasenmäher über die Grünflächen, wo Gras und
Löwenzahn in die Höhe wuchern? Da werden Blumenrabatten angelegt,
und rundherum wuchert das Unkraut. Warum schneidet niemand die vielen
Bäume entlang der Straßen in den Wohngebieten? Fehlt das Geld
dafür, oder hat man einfach keinen Sinn dafür? Na ja, andere
Länder, andere Sitten...
"Aljoscha" |
die ewige Flamme |
Wir verließen Murmansk in
südwestlicher Richtung und fanden einige Kilometer nach der Stadt
Murmashi am Fluss Tuloma einen Stellplatz, wieder mal in einer
Erholungsbasis, diesmal namens „Arktik“. Auch da gibt es viele
kleine Holzhäuschen zu mieten. Eine Renovierung, zumindest von
außen, haben sie alle nötig. Der Hausmeister schloss extra für uns
ein Toilettenhäuschen auf, da wir die einzigen Gäste waren. Und wir
staunten nicht schlecht, es gab sogar warmes Wasser!
Standort: N 68° 47' 10.1“ E 32° 29' 28.1“
gefahrene Strecke: 116 km
am Mini-Fjord |
auch im Hohen Norden blüht es überall |
Mittwoch,
12. Juli 2017
Noch einmal fuhren wir hinein nach
Murmansk, um doch noch den Eisbrecher besichtigen zu können. Mit 300
Rubel p.P. waren wir dabei. Die Besucher wurden in Gruppen zu 20
Personen durch das Schiff geführt. Eine rundliche Russin erklärte
wortreich einige der wichtigsten Räume und Einrichtungen des
Schiffes. Als ich sie fragte, ob sie auch auf Englisch etwas erklären
könnte, bejahte sie dies zwar, blieb aber bei ihrem schnell
gesprochenen Russisch, wovon ich leider fast nichts verstand. Schade.
Trolleybus wie in vielen russischen Städten |
Trotzdem war es sehr interessant,
dieses historische Schiff zu besichtigen, das 1957 auf Kiel gelegt
und 1959 in Dienst gestellt wurde. Bis 1989 hielt er den nördlichen
Seeweg bis in die entlegenen Gebiete Ostsibiriens eisfrei, damit die
dort liegenden Orte versorgt werden konnten. Drei Kernreaktoren
erzeugten die Antriebsenergie, um diesen 16000-t-Koloss durch die
Eismassen schieben zu können. Mehr als 230 Mann Besatzung bedienten
das Schiff. Das Büro und der Salon des Kapitäns waren dem damaligen
Zeitgeschmack entsprechend sehr geschmackvoll ausgestattet. Wie die
einfachen Matrosen untergebracht waren, hätte uns aber auch
interessiert. Uns beeindruckte, wie massiv und stabil alles gebaut
war. Unerklärlich blieb uns, warum es in allen Räumen so
unglaublich warm war. Nach 1,5 Stunden war der Rundgang beendet. Ich
denke, für Technik-Freaks und auch für Geschichts-Interessierte ist
der Eisbrecher ein lohnendes Ziel.
Atomeisbrecher "Lenin" |
großer Salon |
Maschinenraum |
Kernreaktor (schlechte Bildqualität, da durch eine verdreckte Scheibe fotografiert) |
OP-Raum |
Büro des Kapitäns |
auf der Brücke |
An einer der zahlreichen Tankstellen
konnte ich endlich mal die Tanks komplett mit Diesel füllen, denn
man bezahlte dort erst nach dem Tanken. Sonst ist es an fast allen
Tankstellen üblich, dass man an der Kasse sagt, wie viele Liter man
haben möchte und bezahlt. Erst dann wird die Zapfpistole
freigeschaltet.
Wir verließen Murmansk endgültig
auf der P21 in nordwestlicher Richtung, suchten uns aber bald einen
Stellplatz. Diesen fanden wir auch bald am Kilpjawr-See 25 km von der
Stadt entfernt. Das Gelände wird offensichtlich häufig genutzt,
denn wie konnte es auch anders sein, der übliche Müll lag überall
herum. Die zwei „Müs“ (Müll und Mücken) werden wir wohl nie
los. Wir standen allerdings ganz alleine da. Das Wetter, zwar warm,
aber grau und trübe, lockte wohl niemanden hier raus in die Natur.
Standort: N 69° 07' 58.5“ E 32° 30' 37.5“
gefahrene Strecke: 83 km