Blog durchsuchen:

Dienstag, 2. Juni 2015

Ein Traum wird wahr

Den zweiten Tag in Irkutsk begannen wir mit einem Stadtbummel. Wir folgten einer auf die Fußwege aufgeklebten grünen Linie, die Touristen zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt führen sollte. Anfangs funktionierte das auch ganz gut. Wir sahen interessante Gebäude, Plätze, restaurierte Kirchen. An markanten Stellen informierten russisch- und englischsprachige Tafeln über die jeweilige Attraktion. Sehr beeindruckte uns die Gedenkstätte für die Gefallenen des 2. Weltkrieges. Eine nie verlöschende Flamme brennt zu ihren Ehren. Ich verstehe den Patriotismus der Russen immer besser. 250000 Soldaten aus dem Irkutsker Gebiet zogen in den Großen Vaterländischen Krieg, 50000 kehrten nicht zurück. Meine Gefühle als Deutscher an dieser Gedenkstätte kann ich nicht wirklich beschreiben.

eine der restaurierten Kirchen (den Namen habe ich leider vergessen)
die ewige Flamme in der Gedenkstätte für dei Gefallenen des 2. Weltkriegs

Später durchschritten wir den Moskauer Triumphbogen, durch den früher alle Besucher in die Stadt gelangten. Die grüne Linie führte uns dann auch vorbei an einst sicher prachtvollen Holzhäusern. Doch diese befinden sich inzwischen meist in einem bedauernswerten Zustand. Und das, obwohl sie größtenteils noch bewohnt sind! Unbegreiflich!

Was uns bei diesen alten Holzhäusern immer wieder auffällt, sind die fast bis zum Erdboden reichenden Fenster. Ich vermute, dass die Häuser in die Erde hineingebaut wurden. Vielleicht war das günstig in den strengen Wintern?

dieses Haus ist bewohnt!

dieses Haus sieht da schon viel schöner aus

eine Straße weiter dann wieder Bauten aus Sowjetzeiten
Irgendwo verließen wir die grüne Linie, weil sie plötzlich nicht mehr da war. Sehr touristenfreundlich!?! Eine recht eigenartige Fußgängerzone, schmuck- und gestaltlos, durchwandern wir. Ausdruckslose Geschäfte mit Schaufensterdekorationen wie vor 50 Jahren, kein Grün, keine Blumen, alles sehr eigenartig. Der sich anschließende lebendige Markt mit allem Obst und Gemüse, das man sich nur denken kann, und die daran angrenzenden Markthallen gefallen uns hingegen ganz gut.

die Fußgängerzone...

...wirkt nicht gerade attraktiv
der Markt gefiel uns da schon viel besser


hier wird Kwas verkauft
eine Filiale der Raiffeisen-Bank; wer vermutet das in Sibirien?
Später stärkten wir uns bei Subway (ja, auch die sind inzwischen hier vertreten) mit einem wirklich leckeren Baguette.

Nach gut 8 km erreichten wir ziemlich pflastermüde wieder unseren Stellplatz. Im Hotel holten wir unsere frisch gewaschene Wäsche ab (900 Rubel für ein paar T-Shirts, Handtücher und zwei Hosen fanden wir schon recht üppig).

Was uns bei unserem Bummel noch auffiel: Die Highheels haben wieder Ausgang. Unglaublich, wie viele Frauen hier damit durch die Stadt laufen. Und die meisten können es wirklich! (Nichts sieht schlimmer aus, als wenn ein hübsches langbeiniges Geschöpf mit den hohen Absätzen herumstakst wie ein Storch auf der Wiese!) 

Kaum sind wir beim Gecko angekommen, fängt es an zu regnen. Dabei wollten wir doch noch mal auf der Promenade Leute gucken und ein bisschen lesen. Shit!

Es regnet sich ein und wir hocken im Auto. Aber wir wollen nicht meckern. Schließlich sind wir schon fast fünf Wochen unterwegs, und der Regen erwischt uns erstmals richtig.

Zum Glück hörte es in der Nacht auf zu regnen. Am nächsten Morgen, es war der 28. Mai 2015, blinzelte schon wieder die Sonne durch die Wolken.

Wir verließen den Hotelhinterhof und füllten mit einem Großeinkauf in einem riesigen Supermarkt unsere Vorräte auf. Nach einigem Suchen und vielem Fragen gelang es mir, zuerst in einer Art Elektronik-Markthalle eine Micro-SD-Karte für die Actioncam zu kaufen (die mit dieser dann tatsächlich auch endlich richtig funktionierte). Danach konnte ich auch noch eine 50-Ampere-Sicherung auftreiben, die mir schon seit Tagen fehlte und die in Russland völlig unbekannt schien. Alle möglichen Sicherungen haben wir dabei, aber diese eine spezielle eben nicht.

Es war schon weit nach 13 Uhr, als wir Irkutsk endlich verließen und die letzte Etappe zum Baikalsee in Angriff nahmen. Die Landschaft änderte sich fast schlagartig. Weites Grasland, das aber noch kein frisches Grün trug, erstreckte sich bis zu den Bergen am Horizont. Nur noch wenige Autos begegneten uns. In einem kleinen Ort konnten wir unsere Wasservorräte an einer öffentlichen Wasserzapfstelle auffüllen. Hier holt sich auch die Bevölkerung ihr Wasser ab, da die Häuser keinen Wasseranschluss haben. Damit waren wir für den Baikal und die Insel Olchon gut gerüstet.

Um zum See zu gelangen, mussten wir einige Höhenzüge überwinden. Bis knapp 1000 Meter ging es hinauf. Immer wieder bauten sich mit Nadel- und Laubbäumen bestandene Berge vor uns auf. Was für eine Augenweide nach den ewigen Birkenwäldern!

Ein Stück außerhalb des letzten Ortes tauchte auf einem kahlen Hügel eine riesige Säule auf, auf der ein überdimensionaler Adler seine Schwingen ausbreitet. Wir fuhren auf die Anhöhe hinauf. Eisiger Wind und eine traumhafte Aussicht erwarteten uns. Rundum die völlig kahlen Berge. Der Sturm heulte regelrecht. Und dann war da plötzlich dieses sanfte Klingeln in der Luft. Es klang wie von einer anderen Welt. Doch woher kam es nur? Dann entdeckten wir die Ursache. Unterhalb des riesigen Bronzeadlers, dessen Spannweite bestimmt vier Meter betrug, schwangen sechs Glöckchen im Wind. An ihren Klöppeln hingen lange Haarbüschel. Es waren fast sphärische Klänge, eine berauschende Musik.

unendliche Weite nördlich von Irkutsk

"Sieg" steht auf diesem Hang
wir haben Burjatien, das Land der Schamanen, erreicht



So sehr uns dieser Ort fesselte, wir mussten weiter. Bis zur Fähre waren es sicher noch 60 oder 70 km, und es war schon später Nachmittag.

Nur wenige Kilometer weiter kam dann der Hammer. Es begann eine Rüttelpiste der allerübelsten Art.Tiefes Waschbrett ließ den Gecko ächzen und stöhnen. Hier wäre mir ein etwas weicheres Fahrwerk doch lieber gewesen. Dann zeigte ein Schild an, dass es zwölf Kilometer so weiter gehen würde. Na klasse! Links und rechts dieser „Straße“ zogen sich Wege hin. Ich wich dann auf einen davon aus. Ein bisschen besser ließ es sich schon fahren. Man glaubt gar nicht, wie lang zwölf Kilometer einem vorkommen können. Es war wie eine Erlösung, als wir endlich wieder normalen Asphalt unter die Räder bekamen.

Nur noch wenige Kilometer bis zur Fähre, die uns auf die Insel bringen sollte. Es ging noch einmal steil hinauf. Eine riesige Metallskulptur eines verwegenen Mannes begrüßte uns und gab dann den Blick auf den weit unten liegenden Baikalsee frei. Was für ein Anblick! Eingerahmt von hohen Bergen, deren Kuppen noch weiß vom Schnee waren, glänzte das Wasser blaugrau. Es war für uns irgendwie schon ein bewegender Moment. Fünf Wochen sind wir schon unterwegs und über 9000 km Fahrt haben wir bewältigt, und nun lag er vor uns, der legendäre und lang ersehnte Baikal.

unser erster Blick auf den Baikalsee

Wie der Fähranleger aussieht, wusste ich schon aus dem Internet. Doch wie so oft im Leben kam es ganz anders. Bagger und Baumaschinen wühlten in der Erde. Von den ehemaligen Einrichtungen war absolut nichts mehr übrig. Offensichtlich wurde hier alles neu gestaltet.

Wir nahmen den letzten kleinen Anstieg und sahen, wie die Fähre eben gerade ablegte. Es war genau 18:30 Uhr. Na super! Die nächste Fähre sollte laut Plan in einer halben Stunde fahren. Doch daraus wurden eineinhalb Stunden.

Die Überfahrt verlief unspektakulär, bot aber herrliche Ausblicke auf die hinter den hohen Bergen versinkende Sonne. Nach 20 Minuten verließen wir das Schiff rückwärts fahrend. Die vordere Bugklappe funktionierte scheinbar nicht mehr.

Noch 18 km bis zum Stellplatz. Und wieder rüttelte uns eine Schotterpiste durch, diesmal zum Glück nicht ganz so heftig. Mit 70 km/h kam man gut über das Waschbrett.

Es dunkelte schon, als wir vom Hauptweg nach links abbogen. Noch vier Kilometer über dürre, baumlose Steppenlandschaft, dann hieß es: „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ Im Halbdunkel konnten wir gerade noch erkennen, dass wir auf einer Steilküste mit weitem Blick über den See standen. Todmüde gingen wir sofort schlafen.

29. Mai 2015 Wir schliefen wie die Murmeltiere. Die Morgensonne heizte unser luftiges Schlafgemach auf und trieb uns aus den Federn. Jetzt erst sahen wir, auf was für einem Traumplatz wir gelandet waren (danke Heike und Hermann für die Stellplatz-Koordinaten!).

der erste Morgen am Baikal

Vielleicht 15 oder 20 Meter hoch über dem See schauten wir hinüber auf die Berge am Westufer. Unter uns plätscherten und rauschten die Wellen ans Ufer. Wir standen auf völlig vertrocknetem Gras, sanfte gelbbraune Hügel hinter uns.

Frühstück im Freien mit traumhaftem Blick in die Ferne. Wir genossen es lange. Aber wir brauchten auch mal wieder Bewegung. Fünf Wochen im Auto sitzen fördert nicht gerade die Kondition. Also liefen wir los, hinunter zum hellen Kiesstrand und fühlten zum ersten Mal das eiskalte Baikalwasser, das so klar ist wie ein Gebirgsbach. Zwischen den Kieselsteinen am Ufer krabbelten Millionen von fliegenartigen Insekten herum. Sobald man nur eine Sekunde stehenblieb, kletterten sie schon die Hosenbeine hinauf. Unangenehm!

Schließlich hatten wir rund vier Kilometer in den Beinen. Für uns nicht gerade viel, aber für diesmal sollte es reichen.

der Frühling ist da!
Zum Mittag zauberte Jutta aus dem tags zuvor gekauften Schweinehack knusprige Beefsteaks. Ein Genuss! Dazu tranken wir Kwas, ein typisches russisches Getränk, das ähnlich wie Malzbier schmeckt. Nach dem fürstlichen Mahl war Wäsche waschen angesagt. Jutta hat das voll im Griff, wie auch die ganze „Küche“. Zum Spülen der Wäsche liefen wir wieder die 300 Meter zum Seeufer hinunter. Jutta stand dann in dem eiskalten Wasser. Man muss eben Opfer bringen...





Danach Kaffee trinken, Tagebuch schreiben und bei allem diese unglaubliche Ruhe genießen. Es ist wirklich traumhaft schön hier!

Gegen Mittag fuhr in einiger Entfernung ein Auto vorbei. Ansonsten sahen wir den ganzen Tag keinen einzigen Menschen.

30, Mai 2015 Wieder weckte uns die Sonne. Strahlend blauer Himmel und diese himmlische Ruhe. Doch damit war es bald vorbei. Nach wie vor zeigte sich kein Wölkchen am Himmel, aber ein eiskalter Wind, der sich schnell zum Sturm auswuchs, fauchte aus dem Nordosten über den Baikal. Im Nu sank die Temperatur auf 3 Grad. Wir frühstückten trotzdem draußen, schließlich schien ja die Sonne...

Auch nach zwei Stunden ließ der Sturm nicht nach. Wir beschlossen, einen anderen Stellplatz zu suchen, wo wir vor dem kalten Wind geschützt sind.

Nur rund 30 km Fahrt auf der Sandpiste, und schon standen wir wieder auf einem wunderschönen Fleck Erde, auf einem Plateau hoch über dem Baikal. Leider konnten wir auch hier nicht bleiben, denn auch hier gab es weit und breit weder Baum noch Strauch, die uns vor dem Wind hätten schützen können.

Also weiter in Richtung Norden. Dort muss es laut Karte Wald und damit Windschutz geben. Ein kurzes Stück nach einem kleinen Ort fuhren wir erstmals wieder durch richtigen Wald, der hauptsächlich aus Lärchen besteht. Die Bäume trieben ihre ersten zartgrünen Nadeln aus. Dann schimmerte etwas Lilafarbenes zwischen den schwarzen Stämmen hindurch. Das mussten wir uns von Nahem ansehen. Zarte lila Blüten an niedrigen Büschen. Unmengen! Hier blühte Rhododendron. Ein herrlicher Anblick!

Nach einigen Kilometern stoppten uns gleich drei Schilder mit russischer und englischer Aufschrift: ACHTUNG! Nationalpark! Betreten nur mit Genehmigung gestattet!

Was nun? Weiterfahren und bei Fragen dumm stellen? Aber Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Das ist auf der ganzen Welt so, also sicher auch in Russland.

Wir bogen seitlich in einen Waldweg ab, ohne in den Nationalpark einzudringen und fanden tatsächlich im zweiten Anlauf wieder mal einen herrlichen Stellplatz am Rande eines Lärchenwaldes. Wir waren happy! Blick zum See war garantiert, keine Menschenseele weit und breit, und wir standen windgeschützt.

Jutta kreierte auf unserem einfachen Gaskartuschen-Kocher ein köstliches Abendessen (Schnitzel!), das gekrönt wurde durch einen wunderbar milden Wodka, zu dessen Herstellung Baikalwasser verwendet wurde. Zu guter Letzt ließ auch der Sturm nach. Die mondhelle Nacht versprach, kalt zu werden.



Wodka aus Baikalwasser




31. Mai 2015 Aufstehen kurz nach Sonnenaufgang, Frühstück mit Blick auf den Baikal. Eine unglaubliche Stille umfing uns. Keine Insekten, keine Vögel, absolute Ruhe. Nicht einmal Wind rauschte in den Bäumen. Erst dachte ich: Totenstille. Doch dann, mit den wärmer werdenden Sonnenstrahlen, trauten sich die ersten Insekten hervor. Kurz darauf trällerte im Wald ein Singvogel sein Morgenlied. Dann begrüßten einige Raben krächzend den strahlenden Morgen. Ein Glück: Die totale Ruhe zuvor war wohl doch nur Kältestarre.

Am Vormittag schlenderten wir über die vertrocknete Steppe ein paar hundert Meter zum See hinunter. Am Steilhang über dem See blühte zwischen den Lärchen wieder dieser lila Rhododendron.

Wir füllten unsere 5- und 6,5-Liter-Flaschen mit glasklarem Baikalwasser und schleppten sie zum Auto. Eine schweißtreibende Angelegenheit, 60 Meter Höhenunterschied bei praller Sonne. Klingt nicht besonders viel, aber wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten...

Die Sonne lieferte uns Warmwasser, indem wir das Wasser aus den großen Flaschen in einen schwarzen Gummisack umfüllten. Haare waschen war angesagt, danach Wäsche waschen. Es dauerte alles ein bisschen länger, aber wir haben ja alle Zeit der Welt.

Zum Mittag gab es diesmal Blinis (russische Eierkuchen). Ein Genuss!

Und die Sonne brannte...

Wir genossen wieder diese herrliche Ruhe. Ein Entenpärchen zog am Himmel entlang. Unruhe kam auf, als sich vier Raben einen tollen Luftkampf lieferten. Bis wir merkten, dass sie gar nicht gegeneinander kämpften. Sie tollten einfach nur übermütig in der Luft herum. Muss das ein herrliches Gefühl sein, so fliegen zu können... Wir gaben uns einfach dem süßen Nichtstun hin.

1. Juni 2015 Vormittags wieder Wasser am See holen, diesmal mit freiem Oberkörper (ich, Jutta nicht), denn der Westwind trug richtig warme Luft heran. Gegen Mittag lief dann urplötzlich das Kontrastprogramm an. Innerhalb weniger Minuten drehte der Wind wieder auf Nordost, frischte stark auf und brachte natürlich prompt diese eisige Luft heran. Es regnete leicht, in der Ferne grollte ein heftiges Gewitter. Wir machten alles sturmfest, was zum Glück nicht nötig gewesen wäre. Aber sicher ist sicher. Zwei Stunden später schien wieder die Sonne. Das, was wir zu Hause Aprilwetter nennen, findet hier offensichtlich im Mai/Juni statt.

Am Nachmittag stellten sich in 200 Meter Entfernung zwei LKWs aus Deutschland auf. Wir hatten sie vor zwei oder drei Tagen schon einmal gesehen. Nach einiger Zeit liefen wir hinüber, um uns zu erkundigen, ob sie wussten, woher man die Genehmigung für den Nationalpark bekommen kann. Sie sagten, dies sei im Hauptort der Insel möglich. Das eine Pärchen schien ganz ok, das andere benahm sich reichlich überheblich. Wahrscheinlich nahmen sie uns mit unserem kleinen Toyota nicht ganz ernst. Da wieder Regen aufzog, verabschiedeten wir uns schnell.

Dienstag, 26. Mai 2015

Gecko-Jubiläum kurz vor Irkutsk

Es geht immer weiter ostwärts. Wir bleiben der M53 treu, die größtenteils relativ gut befahrbar ist. Nach all den Schilderungen, die ich vor Reiseantritt gelesen hatte, bin ich doch angenehm überrascht, denn ich hatte mir die Straßenverhältnisse viel schlimmer vorgestellt. Manchmal sieht es aber auch so aus:



Das macht wirklich keinen Spaß, und wir sind jedesmal froh, wenn ein solcher Abschnitt hinter uns liegt. Bemerkenswert sind auch die beschrankten Bahnübergänge. Wer hier denkt, er könnte schnell noch durchhuschen, bevor sich die Schranke komplett gesenkt hat, hat ganz schlechte Karten. Seht selbst:


keine Chance für Verkehrsrowdies
Wir nähern uns Irkutsk immer mehr, und das Gelände steigt immer mehr an. Wir fahren ständig in Höhen zwischen 400 und 560 m. Ungefähr 200 km vor Irkutsk suchten wir uns erneut einen Stellplatz im immer seltener werdenden Wald, der allmählich durch steppenartige Landschaften und wieder riesige Felder verdrängt wird. Gut einen Kilometer von der M53 entfernt in Sichtweite eines ehemaligen Militärobjektes standen wir sicher und gut. Das fünfstöckige Gebäude mit leeren Fensterhöhlen, Birken wuchsen schon aus dem Dach, wirkte schon etwas gruselig. Die Autospuren, denen wir gefolgt waren, schienen schon alt zu sein. Also war längere Zeit niemand hier gewesen.

Wir waren eben dabei, den Gecko für die Nacht vorzubereiten, als sich uns ein etwas verwegen aussehender Mann näherte. Vier Hunde begleiteten ihn. Er trug eine doppelläufige Schrotflinte im Arm. Der erste Schreck verflog schnell. Er stellte sich vor und erklärte uns, dass er hier Reste ehemaliger militärischer Objekte bewache. Mit Händen und Füßen, google translator, Wörterbuch und meinem fast perfekten Russisch   ;-)  verständigten wir uns gut. Einen Wodka lehnte er ab, da er noch keine "Vorspeise" hatte und versprach, uns am nächsten Morgen Tee zu bringen.

Die Nacht war sternenklar und verdammt kalt. Am frühen Morgen zeigte das Thermometer 1 Grad. Kurz vor 7 Uhr hupte es, und tatsächlich brachte unser neuer Freund Abakir Tee. Aber was heißt Tee. Er fragte nach unserem Tisch und tafelte dann auf: einen Topf mit Suppe (Reis, Kraut, Fleisch, lecker), Weißbrot mit weißem Speck belegt, gekochte Eier, eine Thermoskanne mit Tee, Honig, Zucker, Zitrone, einen Beutel mit selbst hergestelltem und getrocknetem Kräutertee für unterwegs, Kekse, Bonbons und schließlich noch eine Flasche Kompott (selbstgemachter Saft aus verschiedenen Früchten, ebenfalls sehr lecker). Wir waren einfach nur baff und verlegen. Ein wildfremder Mensch fährt extra 18 km nach Hause in sein Dorf, besorgt das ganze Essen und bringt es uns in sein Revier, in das wir "eingedrungen" sind. Das ist einfach unglaublich. Wir waren überwältigt, gerührt, einfach nur Gänsehaut. Wir durften zum ersten Mal die vielgerühmte russische Gastfreundschaft erleben. Wir überreichten auch noch ein paar kleine Geschenke, tauschten die Adressen aus und versprachen, ihm nach unserer Heimkehr Fotos zu schicken.


reichliches Frühstück

unser neuer Freund Abakir

Was für ein Start in einen Tag mit strahlender Sonne und keinem Wölkchen am stahlblauen Himmel. Besser geht es wirklich nicht!

Die restlichen 200 km bis Irkutsk vergingen wie im Fluge. Dabei feierte unser Gecko ein großes Jubiläum, nämlich seinen 250000. Kilometer. Wir haben volles Vertrauen in ihn, dass er uns so problemlos wieder nach Hause bringt, wie er uns bis hierher ins ferne Sibirien geschafft hat.

Wir fanden den Stellplatz (Empfehlung von anderen Reisenden) hinter dem Hotel Irkutsk auf Anhieb. Nicht wirklich schön, weil sehr schattig und z. Zt. Baustelle, aber bewacht. Bei 23 Grad spazierten wir auf der Uferpromenade der Angara und bewegten uns dabei endlich wieder einmal ein paar Kilometer zu Fuß.

Was mich hier total verblüfft: man sieht kaum typische Asiaten. Fast alle Menschen sehen aus wie Mittel- oder Nordeuropäer. Man ist schon sehr sommerlich gekleidet. Auf der Promenade herrschte schon fast Festtagsstimmung. Es war aber weder Feiertag noch Sonntag. Die Leute hier scheinen sehr entspannt zu sein. Zur Feier des Tages gönnten wir uns wieder mal einen Schaschlik und beobachteten dabei das bunte Treiben. Nachwuchssorgen scheint es hier auch keine zu geben. Sehr viele junge Eltern mit ihren Kindern waren unterwegs. Und nach Armut sieht es hier auch nicht gerade aus. Ladas sieht man nur noch sehr selten. Stattdessen rollen Porsche, Audi, BMW und viele Toyotas durch die Straßen, aber eben jeweils die dicksten und größten Wagen.

Morgen werden wir ein paar Einkäufe erledigen und übermorgen zum Baikal aufbrechen. Wie es dort mit Internet sein wird, wissen wir noch nicht. Also werdet bitte nicht ungeduldig, wenn der nächste Bericht etwas länger auf sich warten lässt.


typischer Wohnblock aus Sowjetzeiten

wunderschön restaurierte Kirche auf dem Wege nach Irkutsk

Irkutsk ist erreicht

Frühling in Sibirien; im Hintergrund das Hotel Irkutsk, hinter dem wir jetzt stehen

die Angara und Hotel Irkutsk

Denkmal für Juri Alexejewitsch Gagarin, dem ersten Menschen im Weltall

Sonntag, 24. Mai 2015

Fahren, fahren, fahren...

Schon während der Ausarbeitung der Reiseroute war klar, dass die Strecke von Susdal bei Moskau bis Irkutsk sich ewig lange hinziehen wird und dass es Tage geben wird, an denen wir einfach nur Kilometer fressen werden. Und genau so ist es jetzt.

Zum Glück sind die Straßen besser, als wir es erwartet hatten, auch wenn es manchmal katastrophal schlimme Abschnitte gibt.

Am 23. Mai erreichten wir die Stadt Kansk. Am Ufer eines Flusses legten wir eine längere Mittagspause ein. Gelegenheit, den Blog zu aktualisieren (nämlich den Beitrag "Der nördlichste Punkt..." Von so einer Internetanbindung wie hier kann man bei uns zu Hause wirklich nur träumen! Eine kleines, putziges Tierchen, vielleicht eine Art Murmeltier, beobachtete uns. Wir nahmen dann die ausgeschilderte Stadtumfahrung. Die Folge: eine Schotterstraße der übelsten Art. Die Trucks vor uns schwankten hin und her.Mehr als 20 km/h waren einfach nicht möglich. Vielleicht wäre der Weg durch die Stadt doch besser gewesen...

ein Murmeltier, ein Erdhörnchen? Wir wissen es nicht.

Am frühen Nachmittag setzte wieder die Suche nach einem Stellplatz ein. Diesmal wurden wir schnell fündig. Mitten im Wald auf einer versteckten Lichtung fühlten wir uns total sicher. Man sah sehr deutlich, dass wir nicht die Ersten hier waren, auch wenn die Zufahrt kaum sichtbar war. Offensichtlich nutzten die Einheimischen, die hier irgendwo in den Wäldern wohnen, dieses Plätzchen als Liebesnest, denn die Hinterlassenschaften waren eindeutig nebst dem wohl unvermeidlichen Müll.

idyllischer Stellplatz

Ein Kuckuck, der in einer alten Kiefer fast über uns saß, rief unentwegt seine aus der Entfernung antwortenden Kollegen. Offensichtlich war er davon schon ganz heiser geworden (oder war er im Stimmbruch???), denn immer wieder überschlug sich seine Stimme und ließ uns schmunzeln und lästern. Erstaunlich auch, wie laut so ein Vogel ruft, wenn man erst mal direkt unter ihm steht.

Ein weiterer Fahrtag folgte. Zum Glück wird die Landschaft immer abwechslungsreicher. Fast schon Mittelgebirge konnte man heute dazu sagen. Immerhin kamen wir auf über 500 m Höhe.

ein ganz eigenartiger Regenbogen

fahren, fahren, fahren...


immer wieder fahren, inzwischen aber durch abwechslungsreiche Landschaften

noch 524 km bis Irkutsk

Immer wieder staunen wir über die immer seltener anzutreffenden Dörfer und Ortschaften. Winzige verwitterte Holzhäuschen, manchmal sicher kaum mehr als 20 Quadratmeter, eins nach dem anderen. Blümchen hinter den Fenstern und die Satellitenschüssel an der Hauswand zeugen davon, dass sie noch bewohnt sind, trotz Löchern im Dach oder in der Giebelwand. Unser Reisefreund Micha meinte: "Armut ist relativ." Sicher hat er damit Recht. Uns wird immer wieder deutlich, in welchem Luxus und Überfluss wir in Deutschland leben. Und mit "wir" meine ich die Gesamtheit der Deutschen.

idyllisch gelegenes Dorf

Nicht nur die Ansiedlungen, auch die Tankstellen und damit auch die LKW-Parkplätze werden auf dem weiten Weg nach Osten immer seltener. Waldwege wie bei uns gibt es hier sowieso nicht. Wir nahmen einen Schotterweg, der wohl zu einem weit entfernten Dorf führt. Schon wenige hundert Meter von der Magistrale entfernt entdeckten wir eine Einfahrt in eine Sandgrube. Hier ist offensichtlich schon länger kein Auto mehr reingefahren. Genug Platz für uns, um gut versteckt und ungestört die Nacht zu verbringen. Den auch hier herumliegenden Müll übersehen wir geflissentlich...
Stellplatz in einer Sandgrube. Nicht ganz so romantisch, aber...

...der Abendhimmel entschädigt uns

Samstag, 23. Mai 2015

Der nördlichste Punkt ist erreicht

21. Mai 2015: Das war endlich mal wieder eine ruhige und erholsame Nacht. Die hatten wir auch gebraucht. Wir schliefen bis halb neun und frühstückten bei strahlendem Sonnenschein und ohne die vermaledeiten Mücken, die mich am Vorabend ziemlich übel zugerichtet hatten. Auf der einen Seite ein Birkenwald, auf der anderen eine sattgrüne Wiese, darüber der strahlen blaue Himmel, kein Autolärm, nur Insekten summen. Über uns kreist ein Greifvogel, ähnlich unserem Rotmilan. Und das alles in der Taiga Sibiriens...

unser idyllischer Stellplatz

Ausgeruht ging es wieder auf die Strecke. Bis Mariinsk wollten wir fahren (ca. 320 km).

Nach nur wenigen Kilometern trübte sich der Himmel ein. Als wir losfuhren, blies schon ein starker Wind,der sich nun zum Sturm auswuchs. Dunkle Wolken zogen auf,Blitze zuckten. Als wir an einer Baustelle halten mussten,ging es richtig los.Heftige Sturmböenpeitschten erst Sandwolken, dann starken Regen und schließlich Hagelkörner über das hier wieder weite, flache Land. Der Gecko wurde durchgerüttelt und geschüttelt, wie auf der übelsten Schlaglochpiste.

Ich dachte, ich spinne, als der Gecko plötzlich ohne mein Zutun von selbst langsam losfuhr.Wir warteten ja immer noch an der Baustelle. Es krachte. Ein Baustellenschild flog gegen den vor uns stehenden LKW. Und unser Gecko rollte auf den LKW zu, angetrieben nur vom Wind! 3,6 Tonnen bringt er auf die Waage; was für Kräfte wirken da! Natürlich war es nicht gefährlich, schließlich hat er auch Bremsen. Beeindruckt waren wir dennoch.

In den nächsten Stunden erlebten wir noch mehrere Gewitter und Regengüsse. In Mariinsk musste der Sturm auch gewütet haben, denn überall lagen abgebrochene Äste herum. Ein alter Baum hatte es nicht überlebt und war dicht neben einem alten Holzhaus umgefallen. Der anvisierte Stellplatz sagte uns überhaupt nicht zu, so dass wir ca. 20 km weiter östlich wieder so einen lauten Trucker-Parkplatz nehmen.

Heute erreichten wir mit 56 Grad nördlicher Breite (und ein paar zerquetschte Minuten) den nördlichsten Punkt unserer Reise. Damit befinden wir uns ungefähr ein Stück nördlicher als zum Beispiel Kopenhagen. Die Temperatur liegt hier auch merklich tiefer als bisher. Trotzdem sahen wir in Mariinsk blühenden Flieder.Wer hätte gedacht, dass es in Sibirien Flieder gibt!

22. Mai 2015: Wir sahen zum ersten Mal seit ca. drei Wochen wieder Berge! Also nicht wirklich hohe Gipfel, aber eine Hügelkette am Horizont kann schon mal eine hübsche Abwechslung sein. Sogar sechsprozentige Steigungen durfte der Gecko erklimmen... ;-)

ungewohnter Anblick: eine Steigung!

Bei Atschinsk beeindruckten uns mächtige Abraumhalden. Was da abgebaut wird, konnten wir nicht herausfinden.


Abraumhalde und Großbetrieb bei Atschinsk
Krasnojarsk umfuhren wir in großem Bogen, da Großstädte uns nicht so sehr interessieren.

Auf der Suche nach einem Stellplatz versuchten wir es wieder in einem Waldstück, doch uns verging bald die Lust. Aller paar Meter lagen Müllhaufen; einfach nur schrecklich.
der allgegenwärtige Müll, selbst tief im Wald

Das Ende vom Lied: wieder eine Stojanka (LKW-Parkplatz). Heftiger Sturm und Regen ließen unsere Laune erst mal fast auf den Nullpunkt sinken. Doch es gab gleich zweifachen Trost: Erstens haben wir einen wunderbar milden Wodka an Bord, und zweitens sind es nur noch rund 1000 km bis Irkutsk. Und von da bis zum Baikalsee ist es nur noch ein Katzensprung von knapp hundert Kilometern.


typisches Holzhaus
                   
die Dörfer in Sibirien sehen alle irgendwie fast gleich aus

und noch mal Felder und Birkenwälder

davon sahen wir bisher Hunderte: hier starb ein Mensch bei einem Verkehrsunfall

die Trasse der Transsibirischen Eisenbahn, der wir hunderte Kilometer folgten

an vielen Stellen werden die kaputten Straßen repariert und neue gebaut

Frühling in der Taiga

die Saat geht auf

das blieb in den meisten Fällen von den Kolchosen: Ruinen

der Jennisei