2.
Juni 2015 Wir fuhren
zurück nach Chushir, um die Genehmigung für den Nationalpark zu
besorgen. Eine nette Oma in einem neu gebauten Babajaga-Häuschen
stellte sie uns für drei Tage aus. Kostenpunkt 710 Rubel.Ein
Spottpreis, verglichen mit afrikanischen Nationalparks. Danach
Einkaufen in zwei kleinen Tante-Emma-Läden und dem größeren
Supermarkt. Hier herrscht z. Zt. So etwas wie Neukapitalismus. An
allen Ecken sieht man kleine und winzige Lädchen und Büdchen, die
alle irgendetwas verkaufen oder vermieten wollen. Überall wird
gewerkelt und gebaut. Es gibt schon eine ganze Menge
Touristenunterkünfte. Ich denke, über kurz oder lang werden sich
hier einige Tragödien abspielen, nämlich wenn die ersten Geschäfte
im Konkurrenzkampf unterliegen.
Vor dem
Supermarkt im Auto sitzend aktualisierte ich bei bestem Netz (wenn es
das doch auch bald bei uns zu Hause gäbe!) unseren Blog. Während
wir so im Auto saßen, begann urplötzlich ein heftiger Sturm. Zuerst
flogen die kleinen Mülltonnen vor dem Supermarkt davon, dann sah man
innerhalb einer Minute nur noch Sand. Die Luft war rundum fahlgelb
und verhüllte die auf der anderen Straßenseite stehenden Häuser
völlig. Zum Glück traf der Sandsturm den Gecko von hinten, sonst
wäre bei längerer Dauer die Windschutzscheibe zu Milchglas
geworden. Der Sturm rüttelte am Auto, doch das hielt (natürlich!)
den Naturgewalten stand. Ein kleines Mädchen hielt sich ein
Schulheft vors Gesicht und huschte in den Supermarkt. Der ganze Spuk
dauerte nur wenige Minuten. Dann regnete es kurz, und schon atmeten
wir wieder klare Luft.
Sandsturm in Chushir |
Wir
machten uns auf, um den Norden der Insel zu erkunden. Der kurze, aber
heftige Regen hatte die Piste dort, wo sie aus schwarzer Erde
bestand, ziemlich aufgeweicht.Die grobstolligen BF-Goodrich-AT-Reifen
wirbelten kleine Erdklumpen durch die Luft und ließen sie in die
Radkästen prasseln.
Wir
erreichten wieder die uns schon bekannten drei Verbotsschilder, die
mit unserem 3-Tage-Permit nun kein Hindernis mehr darstellten. Kurz
danach stand ein offener Schlagbaum mit einer Hütte daneben. Niemand
war anwesend, also fuhren wir ohne Halt weiter.
Was dann
kam, hatten wir selbst in Afrika noch nicht erlebt, und dort sind wir
schon haarige Pisten gefahren. Der „Weg“ führte kurvenreich
durch den Nadelwald. Sandbuckel, Wurzeln und halbmetertiefe Mulden
ließen nur Schritttempo zu.Doch es sollte noch schlimmer kommen. Der
Wald trat zurück und es begann eine mehrere hundert Meter lange
Tiefsandpassage. Und ausgerechnet hier kam uns ein Mitsubishi
entgegen, der aber sofort die Spur frei machte.
Ich
musste aber sowieso anhalten, da ich an den Vorderrädern die Sperren
an den Radnaben einschalten musste, um mit Allradantrieb weiterfahren
zu können. Ab hier ging es wirklich nur noch per 4x4 weiter. Um
überhaupt erst mal wieder aus dem Tiefsand herauszukommen, musste
ich sogar den Kriechgang einlegen.
ohne Allradantrieb geht hier gar nichts |
Hier auf
dieser riesigen Lichtung, vielleicht 500 m x 500 m groß, wurden
sogar einige neue Häuser gebaut. Wie die Bauherren wohl ihr Material
hierher transportieren? Man sah auch noch die Reste alter Baracken.
Bis 1951 existierte hier ein Gulag (Strafgefangenenlager), in dem die
Häftlinge für die damals hier stehende Fischfabrik arbeiten
mussten. Später verschwand alles unter einer bis 90 m hohen
Wanderdüne.
Wir
ackerten weiter über diesen „Waldweg“, der lt. Navi eine gelbe
Straße sein sollte.Schließlich erreichten wir eine Art Camp. Es
bestand aus zwei einfachen Toilettenhäuschen (Modell Zielloch) und
grob gezimmerten, robusten Holztischen und -bänken. Ja, und
Müllcontainer gibt’s hier! Hier gefällt es uns, hier bleiben wir.
Ich hatte auch keine Lust mehr, das Auto über diese Piste zu quälen.
Eine
Tafel informierte darüber, dass man hier sogar Feuer anzünden darf.
Und schon schleppten wir trockenes Holz herbei. Die neue Outdoor-Säge
bewährte sich bestens.
Wir
standen mitten zwischen Kiefern. Lärchen und lila blühendem
Rhododendron an der vielleicht zehn Meter hohen Küste mit herrlichem
Blick auf den See und die dahinter aufragenden Berge. Was will man
mehr?
Am
Abend prasselte das Feuer. Der eine oder andere Wodka gehörte
natürlich dazu...
3. Juni
2015 Die Nacht war unruhig und laut. Der Wind frischte auf und ließ
die Bäume heftig rauschen. Auch der See machte sich mit den
Geräuschen der Wellen bemerkbar. Übertönt wurde alles von
irgendwelchen krakeelenden Vögeln, die die ganze Nacht keine Ruhe
gaben.
Das
Aprilwetter setzte sich fort, das hier eben erst im Mai/Juni
stattfindet. Sibirien ist eben kein Mitteleuropa.
Gegen
Mittag liefen wir dreimal die Düne hinunter , um Wasser vom See zu
holen. Mit Gummilatschen ins eiskalte Wasser, um die Flaschen zu
füllen. Schon beim zweiten Mal erschien es mir nicht mehr so eisig.
Ich schätze, es hat so 4 -5 Grad. Eigentlich will ich da mal ganz
hineinspringen...
Als
Mittagessen gab es zwei verschiedene Kascha, eins mit Reis, das
andere vermutlich mit Hirse. Im Prinzip entpuppte sich beides als
geschmacklose Pampe. Von dem Rindfleisch, das das Etikett versprach,
konnten wir kaum etwas entdecken. Mit Salz, Pfeffer, Knobi und Chilli
konnte man es dennoch ganz gut essen. Es machte zumindest satt.
Am
Nachmittag Holz ranschleppen und sägen, vor dem Regen fliehen, dann
wieder die Sonne genießen.
Als
hübsche Besucher stellten sich heute kleine Vögel mit langen
Schnäbeln ein. Sie liefen an den Bäumen hoch und kopfüber wieder
runter (wie unsere Kiebitze) und holten sich ohne jede Scheu die
Brotkrümel vom Tisch. Hübsche Tierchen, über deren Gesellschaft
und Vertrauen wir uns richtig gefreut haben.
Ärger
hingegen nach wie vor mit der Elektrik des Autos. Nach meinen
Spannungsmessungen und laienhaften Vermutungen ist scheinbar der
Solarregler nicht in Ordnung. Die Solarpanels lieferten bei bedecktem
Himmel 20,7 Volt beim Regler an, dieser gab aber nur 10,67 Volt an
die Bordbatterien ab (statt mehr als 14 Volt). Und das, obwohl sowohl
Regler als auch Batterien vor der Abreise neu installiert wurden! Auf
meine Anfrage per Mail bei der ausführenden Werkstatt, die ich schon
vor drei oder vier Wochen schrieb, erhielt ich bis jetzt keine
Antwort! (Michi, falls Du mitliest, melde Dich bitte per Mail!)
4.
Juni 2015 Wir wanderten am
Ufer südwärts bis zum nächsten „Dorf“, dem ehemaligen Gulag
und sahen uns dort ein bisschen um. Viel gab es nicht zu entdecken,
außer ein paar verfaulten und halb eingestürzten Holzbaracken und
drei oder vier bewohnten Häusern.
Auf dem
Rückweg bewunderten wir auf dem Sandstrand einen wirklich großen,
wunderschönen Schmetterling, der unserem Schwalbenschwanz stark
ähnelte, nur dass die bei uns lebenden m. E. nicht so groß werden.
Dieser hier hatte eine Spannweite von vielleicht 13 – 14 cm. Und
das Eigenartigste war, dass er nicht wegflog. Ich konnte mich ihm mit
der Kamera bis auf wenige Zentimeter nähern.
Danach
war wieder Wasser holen und auch Baden angesagt. Baden ist etwas
übertrieben, aber ich wollte wenigstens mal im Wasser des Baikal
gewesen sein. Das Verblüffende daran war, dass es sich gar nicht so
kalt anfühlte. Ich schätzte die Wassertemperatur auf 4-6 Grad. Auf
jeden Fall war es recht erfrischend...
Der
Nachmittag lief wieder ganz ähnlich ab wie an den Tagen zuvor. Von
Nordosten her näherten sich dunkle Wolken. Sie zogen entweder einen
weißen oder einen dunkelgrauen Regenvorhang vor die Berge am
Westufer, je nach Sonneneinstrahlung.Inzwischen können wir auch
schon die Sprache des Sees ein wenig verstehen. Verfärbt sich die
Wasseroberfläche in Ufernähe dunkelgrau und kräuselt sich, dauert
es nur noch wenige Minuten bis zum nächsten Regenschauer. Ein
plötzlicher kalter Windstoß spricht die letzte Warnung aus, und
wenige Augenblicke später öffnet der Himmel seine Schleusen. Zum
Glück hatten wir das schon gesägte Feuerholz rechtzeitig unterm
Auto ins Trockene gebracht.
weißer Regenvorhang vor den Bergen |
Den
Regenschauer saßen wir im Auto aus. Gelegenheit, Bilder von den
Kameras auf den Laptop zu kopieren und auf den externen Festplatten
zu sichern.
Das
Wetter hatte sich beruhigt, wir saßen noch im Auto, als sich ein
junger Bursche in Radfahrerklamotten dem Gecko näherte.Wir begrüßten
ihn mit „Hallo“ und Dobrij djen“, er sah uns erstaunt an, sagte
kein Wort und verschwand wieder. Eine Viertelstunde später baute er
in 100 m Entfernung ein kleines Zelt auf. Komischer Kauz.
Das
prasselnde Lagerfeuer wärmte uns (der Wodka natürlich auch). Ich
wusste nicht, dass Lärchen ein so gutes Feuerholz liefern. Es brennt
lange und heizt ordentlich.
5 .
Juni 2015 Irgendwann in
der Nacht wurde es lauter und lauter. War es der Wind in den Bäumen?
Die Wellen? Es wurde so laut, dass wir nur noch unruhig schliefen.
Als wir frühzeitig aufstanden, staunten wir nicht schlecht. Weiß
gekrönte Wellen rauschten unentwegt ans Ufer. Was für ein
Schauspiel! Heute machte dieser Teil des Baikals, der hier auch
„Kleines Meer“ genannt wird, alle Ehre.
Mit ein
bisschen Wehmut verließen wir am Vormittag dieses Paradies. Tapfer
meisterte der Gecko die 4x4-Piste bis zum Ausgang des Nationalparks.
Dabei stand plötzlich der Radfahrer vom gestrigen Abend mitten auf
dem sandigen Weg und wechselte seine Klamotten. Wir warteten, bis er
den Weg frei machte und fuhren winkend an ihm vorbei. Er schaute
nicht einmal hoch.
In
Chushir einkaufen, ein paar Whatsapp-Nachrichten beantworten und dann
kurze Fahrt zum etwas außerhalb gelegenen Schamanen-Felsen.Ein
riesiger zerklüfteter Felsbrocken von vielleicht 30 oder 40 m Höhe
ragt am Ufer aus dem Meer empor. Direkt davor prangt ein großes
Schild. „STOP! Verbotenes Gebiet!“ So oder ähnlich lautet die
russische Inschrift, was die Russen natürlich nicht hindert, sich
mit großen Lettern an den unteren Felspartien zu verewigen. Trotzdem
hat dieser Ort etwas Magisches. Man muss sich nur darauf einlassen.
Einige
Spaziergänger begegneten uns hier. Sie schauen uns nicht einmal an,
um uns Gelegenheit zum Grüßen zu geben. Sind den alle Leute hier
irgendwie gestört? Der Ranger, der uns heute früh schon zum zweiten
Mal kontrollierte, war doch total nett und freundlich? Sehr
eigenartig.
Nach
Norden hin erstreckt sich ein weiter, fast weißer Sandstrand. Weiße
Wellenkämme rauschen ans Ufer. Was für ein Traumstrand, und das in
Sibirien...
Wir
verließen Chushir in Richtung Südosten und fahren ca. 15 km
teilweise heftige 4x4-Piste und gelangen dann zum Schwanensee. Leider
ist von ihm nur ein großer, fast ausgetrockneter Tümpel übrig.
Weidende Kühe und Pferde ersetzen die Schwäne.
Die
leichte Enttäuschung war sofort vergessen, als wir den im Supermarkt
erstandenen Omul verspeisten. Dieser Fisch lebt nur im Baikal. Der
eine normal, der andere kalt geräuchert. Ich habe schon viele
verschieden Fische gegessen, aber der Omul übertrifft alles um
Längen. Ein Gedicht von einem Fisch! Und der Räuchermeister, der
ihn so zubereitet hat, versteht offensichtlich viel von seinem
Handwerk. Wir dankten ihm unbekannterweise.
geräucherter Omul, eine Delikatesse allererster Klasse |
Die
Nacht wollten wir wieder auf dem Stellplatz verbringen, auf dem wir
schon die ersten beiden Tage standen. Kaum dort angekommen,
umschwirrten uns diese hässlichen Fliegen, die wir anfangs nur am
Strand gesehen hatten. Inzwischen weiß ich, dass diese Plage in
zwei, drei Wochen vorbei ist, was uns allerdings wenig nützt. Um so
mehr freuen sich alle Tiere, denen die Fliegen als willkommene
Proteinquelle dienen.
alt und neu nebeneinander in einem winzigen Dorf |
unser letzter Abend auf der Insel Olchon |
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