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Dienstag, 11. Juli 2017

Vom Weißen Meer nach Murmansk

Montag, 2. Juli 2017

Traumwetter vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Nicht ein einziges Wölkchen zeigte sich am Himmel. Ein Grund mehr, noch einen Tag an diesem schönen Platz zu bleiben.

Holz sammeln und sägen war zunächst angesagt, anschließend Blog aktualisieren. Währenddessen fuhren die ersten Schiffe und Boote vorbei, nachdem wir gestern kein einziges sahen. Vielleicht gibt es hier ja ein Sonntags-Fahrverbot für Schiffe?



Am frühen Nachmittag hatten wir ein eigenartiges, für Russland bzw. Russen aber auch typisches Erlebnis. Zwei junge Familien mit vier Kindern kamen zu unserem Platz. Sie setzten sich in 1,5 m Abstand direkt neben uns. Aber es kam weder ein Gruß noch ein Blick zu uns. OK, dieses Verhalten kannten wir ja schon. Bis auf die beiden Frauen tobten alle in dem eiskalten Wasser herum. Irgendwann packten sie ihre Sachen wieder zusammen und gingen zurück zu ihren Autos. Doch dann kam einer der Männer noch mal zurück zu uns und schüttete aus einem Sack eine ordentliche Menge fertig gehacktes Holz auf unseren Holzhaufen, lächelte und sagte: „For free!“ (Kostet nix!) Wir guckten völlig verblüfft und konnten wenigstens den Kindern ein paar Kekse zustecken. Erst denkt man, was sind die Russen nur für Muffel, und dann bekommt man einen Sack Holz geschenkt. Wir fragten uns danach zum wiederholten Male, warum die Russen anfangs so kontaktscheu sind.

Das Feuer am Abend hielt die dann wieder sehr aktiven Mücken kaum ab, so dass wir keine richtige Freude daran hatten, draußen zu sitzen. Bald zogen wir uns in den Gecko zurück.

Standort: N 64° 26' 47.0“ E 34° 32' 33.7“
gefahrene Strecke: 0 km


Dienstag, 4. Juli 2017

Erst gegen 11 Uhr fuhren wir los, zunächst zu einer nur wenige Kilometer entfernten Schleuse des Weißmeerkanals. Es gab kaum etwas Interessantes zu sehen. Kein Schiff weit und breit. Zufällig entdeckten wir direkt daneben einen neuen Womo-Stellplatz mit Stromanschlüssen und Toiletten, die wir uns aber nicht ansahen (Koordinaten: N 64.4763 E 34.6624).

Weiter ging es auf übler Asphaltstraße nach Belomorsk. Als wir ein Schild am Straßenrand entdeckten, das auf Petroglyphen (Steingravuren) hinwies. Wir bogen ab und parkten nach 1 km. Ungefähr einen weiteren Kilometer musste man zu Fuß zurücklegen. Über eine halbfertige Brücke führte ein Weg in den Wald. Sobald wir die Brücke hinter uns hatten, begannen wir, wild um uns zu schlagen. Total aggressive Mücken in unglaublicher Anzahl fielen über uns her. Ein paar hundert Meter liefen wir noch, doch dann hielten wir es nicht mehr aus. Wir konnten kaum noch atmen, so umschwärmten uns die Mücken. Völlig entnervt kehrten wir um. Im Auto mussten wir erst mal unsere Hände reinigen, an denen Blut und Mückenreste klebten. So eine Attacke hatten wir noch nie erlebt.

Belomorsk machte auf uns einen sehr heruntergekommenen Eindruck. So viele kaputte oder vergammelte Häuser... Immerhin konnten wir vernünftig einkaufen. Danach fuhren wir die gleiche Strecke zurück zur P21 und dann weiter gen Norden. Wald und Sumpf, Sumpf und Wald, wobei der Sumpf immer größere Anteile übernahm.

in Belomorsk



Sumpflandschaften ohne Ende

auch im Sumpf blüht es überall

Zweimal versuchten wir, einen Stellplatz zu finden, indem wir in Waldwege hineinfuhren. Beim ersten Versuch fanden wir einen schönen See, aber sobald wir das Auto verließen, erlebten wir die zweite Mückenattacke an diesem Tag. Der zweite Anlauf endete vor einem riesigen Schlammloch. Also fuhren wir weiter und weiter und landeten dann schließlich auf einer Stojanka (LKW-Parkplatz). Wir bekamen einen Platz direkt an der Straße zugewiesen. Schön war es da nun wirklich nicht. Jeder dritte Truck ließ den Motor laufen (warum eigentlich?), in jeder Ecke brummte und rasselte es anders, Abgase waberten durch die Luft. Aber für 80 Rubel kann man wohl nicht mehr verlangen. Warum man bei den Trucks und sogar bei einigen PKW die Motoren stundenlang laufen lässt, blieb uns ein Rätsel. Wenn es tiefer Winter wäre, könnte man es noch verstehen, aber jetzt im Sommer...

Apropos Sommer. Um 20:35 Uhr zeigte das Thermometer 20 Grad. Wenige Stunden zuvor waren es noch 24 Grad! Und das nur wenige Kilometer vom Polarkreis entfernt! Am Abend erfuhr ich von einem Freund per Facebook, dass am gleichen Tag in Kenia geschneit hatte. Verrückte Welt!

Standort: N 66° 28' 15.1“ E 32° 46' 17.2“
gefahrene Strecke: 303 km





Mittwoch, 5. Juli 2017

Die letzte Nacht war laut, sehr laut. Trotzdem schliefen wir bis fast 8 Uhr.

Bis zum Polarkreis fuhren wir lediglich 8 km. Dort schossen wir an einer Art Denkmal die obligatorischen Erinnerungsfotos. Dabei war Schlange stehen angesagt, denn auch eine ganze Reihe Russen wollten sich so verewigen lassen.

wir haben den nördlichen Polarkreis erreicht

Je weiter nördlich wir kamen und uns Kandalaksha näherten, desto hügeliger wurde die Landschaft, bis sogar in der Ferne Berge mit einigen Schneeresten auftauchten. Bei Kandalaksha verließen wir die P21 in östlicher Richtung. Wir befanden uns nun auf der Halbinsel Kola, die eine Fläche von rund 100000 qkm einnimmt (Deutschland 357000 qkm). Schon bald bot sich uns ein erster wunderschöner Ausblick aufs Weiße Meer mit kleinen Inseln und Fjorden. Weiter ging es auf einer in der Karte weiß dargestellten Straße, die jedoch gut asphaltiert war.

ein erster Blick aufs Weiße Meer


Ca. 30 km östlich der kleinen Stadt Umba fuhren wir auf einem Waldweg direkt bis auf den Sandstrand an der Nordküste des Weißen Meeres und fanden einen für uns idealen Stellplatz. Vor allem, weil es da sicher keine Mücken gibt, so direkt am Meer und bei leichtem Wind. Doch diese Biester sind einfach überall, wie wir bald feststellen mussten. Der Wind ließ nach, und sofort schwirrten sie zu Hunderten um unsere Köpfe. Sie wurden regelrecht zur Qual. Selbst das Feuer, das wir entfachten, störte sie kaum. Natürlich machte da das Grillen unserer Steaks auch nicht wirklich Spaß.

Inzwischen waren einige Russen mit zwei Hummer angekommen. Sie zelteten in einiger Entfernung. Später trafen noch Petra und Joachim mit ihrem Unimog ein. Mit ihnen schwatzten wir später längere Zeit direkt vorn an der Wasserkante und tranken auf Petras 58. Geburtstag.

Das Wasser war weit zurückgegangen. Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Gezeiten hier so stark auswirken. Obwohl das Wasser am Abend fast 100 Meter weiter draußen war, fraßen uns auch dort die Mücken fast auf. Mit völlig zerstochenen Händen, Gesichtern und Köpfen trollten wir uns schon um halb zehn in unsere Behausungen.

Standort: N 66° 35' 41.1“ E 34° 42' 51.4“
gefahrene Strecke: 226 km

am Strand des Weißen Meeres




Donnerstag, 6. Juli 2017

Regen weckte uns. Als wir 9 Uhr losfuhren, hatte er aufgehört, doch der Himmel blieb grau und wolkenverhangen.

In Umba tankten wir noch mal nach und folgten dann einer ebenfalls weißen Straße lt. Reise-Know-How-Karte. Ab dem ersten Meter erwies sie sich jedoch als Piste. Auf ihr wollten wir bis Kirowsk und dann weiter bis Apatity gelangen. Die ersten 15 km ließen sich noch ganz gut befahren. Es ging ständig durch sumpfigen Wald. Sand, Schlaglöcher, Schotter, Waschbrett, die Piste bot alles. Später kamen mehr oder weniger tiefe Wasserlöcher hinzu. Aber auch die stellten kein Problem dar.

Nach 35 km staunten wir nicht schlecht, weil dort auf einer Lichtung zwei verfallene Häuser standen. Wer mag so tief im Wald versteckt gelebt haben und warum? Ab dieser Stelle wurde die Piste immer schlechter. Ein Schlagloch reihte sich ans andere. Die Löcher wurden immer größer und tiefer. Oftmals ging es nur noch im Schritttempo voran. Dabei wurde unser Gecko ständig heftig durchgerüttelt und geschüttelt und wir natürlich auch. Spaßig war das nicht mehr. Die Fahrerei erforderte zudem volle Konzentration.

verlassenes Haus mitten im Wald


Sumpfwald

Wegebau auf russisch: zu dicht am Weg stehende Bäume werden einfach beiseite gedrückt

ein der kleineren Wasserlöcher

Am Kilometer 38 nach Pistenanfang standen wir vor einem ca. 40 m langen Wasserloch, dessen Tiefe wir nicht abschätzen konnten. Bis zur anderen Seite barfuß durch diese eisige Brühe zu laufen, hatten wir keinen Bock. Immerhin konnten wir einige große Steinbrocken unter der Wasseroberfläche erkennen. Schwarzes Sumpfwasser, wer weiß, wie tief. Bis nach Kirowsk waren es noch ungefähr 120 km, und das auf solcher Piste. Für die knapp 40 km bis hierher hatten wir schon 2,5 Stunden gebraucht. Also lagen noch sieben bis acht Stunden Pistenfahrt vor uns, und die Aussicht, uns schlimmstenfalls aus solch einem Wasser- oder Schlammloch rausbuddeln zu müssen, wobei uns die Mücken sicher auffressen würden. Nach einigem Hin- und Herüberlegen fiel die Entscheidung: Wir kehren um.

Auf dem Rückweg kamen uns Petra und Joachim mit ihrem Unimog entgegen, ihnen voran ihr Guide in einem russischen LKW. Evtl. treffen wir sie in Norwegen wieder. Mal sehen, wie sie die Piste bewältigt haben.

Inzwischen hatte der Himmel seine Schleusen wieder geöffnet. Bis zur P21 wollten wir nicht fahren, denn dort würde es sicher wieder sehr schwierig, einen Stellplatz zu finden. So fuhren wir schon 50 km vor Kandalaksha ans Steilufer des Kolwitskoje-Sees. Ein wunderschöner Platz an diesem riesigen See, wo bei schönem Wetter sicher viele Russen campieren. Das ließen die vielen verlassenen Feuerstellen vermuten. Verblüffenderweise lag relativ wenig Müll herum.

Der Regen hatte aufgehört. Bald brannte unser Feuer. Nun fehlte nur noch die Sonne...

Standort: N 67° 01' 53.5“ E 33° 28' 17.4“
gefahrene Strecke: 153 km

Stellplatz am Kolwitskoje-See

Freitag, 7. Juli 2017

Unglaublich, aber wahr: Wir schliefen bis fast 10 Uhr. Lag es an der Ruhe oder am Plätschern der Wellen des Sees? Egal.

Zunächst fuhren wir zurück bis Kandalaksha, von dort weiter auf der P21 bis zum Abzweig nach Apatity und dann bis zu dieser hässlichen Bergbaustadt. Hier wird Apatit abgebaut, das wohl u.a. zur Herstellung von Düngemitteln verwendet wird. Riesige Industrieruinen verschandeln das ohnehin schon triste Stadtbild.

Weiter ging es bis Kirowsk. Diese Stadt liegt direkt vor den Bergen der Chibinen (ein kleines Gebirge), die teilweise noch mit Schnee bedeckt waren. Dort suchten und fanden wir schließlich auch den botanischen Garten, wo schon andere Reisende in ihren Womos übernachtet hatten. Der Pförtner hatte jedoch kein Erbarmen mit uns. Niemand hätte ihm gesagt, dass jemand zum Schlafen käme. Obwohl es weltweit nur drei botanische Gärten jenseits des Polarkreises gibt, war uns die Lust darauf vergangen.

die Chibinen

Kirowsk

Chibinen

riesiger Industrie-Komplex

typische Garagensiedlung, wie man sie hier im Hohen Norden ganz oft sieht

Wir kehrten um und fuhren zurück bis Apatity. Ein Stück außerhalb der Stadt steuerten wir eine sog. Erholungsbasis (база отдыха). Eine Schlaglochpiste brachte uns zu einem funkelnagelneuen, sehr schönen Empfangsgebäude. Die junge, hübsche Dame an der Rezeption meinte, sie würden hier nur Ferienhäuschen vermieten. Sie telefonierte dann mit ihrem Chef. Sie hätte uns sicher irgendwo in dem großen Gelände schlafen lassen, aber der Natschalnik war dagegen.

Einige Kilometer weiter versuchten wir es noch einmal in einer ähnlichen, aber wesentlich kleineren Einrichtung, und siehe da, für 200 Rubel durften wir bleiben. Dafür durften wir auch ein geräumiges Toilettenhäuschen benutzen. Darin befand sich ein ganz normales WC. Alles war sehr sauber und ordentlich und – es war geheizt! Bei einer Außentemperatur von 11 Grad doch schon ganz angenehm.

Am Abend kam der Chef vorbei. Mit ihm plauderten wir kurz. Dabei stellte es sich heraus, dass er als Soldat der Sowjetarmee in Glauchau stationiert war, also ganz in der Nähe von Lichtenstein, wo wir bis 1989 gewohnt hatten. Die Welt ist eben doch klein...

Standort: N 67° 39' 06.3“ E 32° 53' 36.7“
gefahrene Strecke: 232 km


ob die Recycling-Hütten auch vermietet werden?

unser "Wächter"
verblüffend: eine Stupa 153 km südlich von Murmansk

Sonnabend, 8. Juli 2017

Nach herzlichem Abschied von der Vermieterin fuhren wir bei strahlendem Sonnenschein direkt an den Stadtrand von Murmansk. Dort erledigten wir in einem riesigen Magnit-Supermarkt unseren Großeinkauf. Danach verließen wir die Stadt wieder in gingen in Richtung Osten auf die Suche nach einem schönen Stellplatz.

Den bis südlich von Murmansk vorherrschenden Mischwald ersetzt hier im hohen Norden die Tundra. Sanfte Hügel schwingen sich bis zum Horizont. Kleine buschig wachsende Birken herrschen vor, einige niedrige Nadelgehölze wachsen dazwischen. Dazwischen leuchteten da und dort noch restliche Schneefelder. Ansonsten Sumpf, Sumpf und wieder Sumpf.

Ca. 50 km östlich von Murmansk fanden wir nach einigen vergeblichen Anläufen ein wunderschönes Fleckchen inmitten der Tundra. Wir stellten uns 100 Meter entfernt von einem See zwischen locker stehenden Birken auf. Da gab es wesentlich weniger Mücken als direkt am Wasser. Ein leichter, lauer Wind half zusätzlich, die Mücken zu vertreiben.

Bald brannte unser Feuer, das aber nicht so recht in Gang kommen wollte, da sämtliches Holz ziemlich feucht war. Den Schaschlik mussten wir schließlich doch in der Pfanne braten. Auf den hatten wir uns sehr gefreut, doch leider erlebten wir einen Reinfall. Das Fleischeimerchen, das wir gekauft hatten, enthielt große Stückchen Hühnerfleisch samt Knochen. Es sah aus wie ein explodiertes Hähnchen. Das Fleisch war zwar in einer Marinade eingelegt, doch es schmeckte erst durch kräftiges Nachwürzen und viel, gaaanz viel Knoblauch und Zwiebeln.

Und dann hatten wir in der Nacht ein für uns völlig neues Erlebnis, die Mitternachtssonne! Darüber lesen oder es im Fernsehen zu sehen oder es selbst zu erleben, sind eben doch zwei völlig verschiedene Dinge. Wir schauten immer wieder auf die Uhr und konnten es kaum glauben. Es war tatsächlich schon Mitternacht, und die Sonne stand immer noch ein ganzes Stück über dem Horizont. Ja, sie ging überhaupt nicht unter! Die letzten Nächte waren ja auch schon sehr hell, aber dass die Sonne überhaupt nicht unterging, war eben doch etwas Neues für uns. Im Winter möchte ich allerdings nicht hier leben, wenn es wochenlang gar nicht mehr hell wird. Das stelle ich mir wirklich deprimierend vor.

Standort: N 68° 53' 03.5“ E 34° 13' 47.6“
gefahrene Strecke: 202 km


Stellplatz inmitten der Tundra



Mitternachtssonne

Sonntag, 9. Juli 2017

Wieder verwöhnten uns strahlender Sonnenschein und sehr milde Temperaturen von über 20 Grad. Kurzerhand blieben wir einen Tag am selben Fleck. Wir füllten den schwarzen Schweizer Armee-Wassersack mit Wasser aus dem See, legten ihn ein paar Stunden in die pralle Sonne und hatten dann warmes Wasser in ausreichender Menge, um wieder mal unsere Haare zu waschen. Wer hat's erfunden, die Schweizer...

Wäsche waschen und kleine Wartungsarbeiten am Gecko erledigten wir in aller Ruhe. Und wieder mal Sonne und Wärme genießen lagen an. Schließlich zauberte Jutta auf unserem kleinen Kocher köstliche Blini (russische Eierkuchen), zuerst herzhaft mit Käse und dann süß mit Apfelstückchen.

In den nächsten Tagen wollen wir u.a. Murmansk erkunden und, wenn möglich, den dort im Hafen liegenden ersten Atomeisbrecher der Welt besichtigen. Und wir werden versuchen, noch hier auf russischer Seite bis an die Küste des Polarmeeres, der Barentssee, vorzudringen.

Es bleibt also interessant. Und Ihr bleibt hoffentlich alle recht neugierig...

Standort: N 68° 53' 03.5“ E 34° 13' 47.6“

gefahrene Strecke: 0 km


erst Haare waschen...

...dann Wäsche waschen


Dienstag, 4. Juli 2017

Vom Ladoga-See zum Onega-See und weiter in Richtung Weißes Meer

Donnerstag, 29. Juni 2017

Völlige Windstille herrschte am Morgen, und schon schwirrten wieder die Mücken um uns herum. An den letzten Tagen hatten wir genug gefaulenzt, jetzt wollten wir weiterziehen. Heutiges Ziel: Petrosawodsk, die Schwesterstadt von St. Petersburg.

Schon nach nicht einmal 20 km Fahrt prangte ein Sperrschild am Straßenrand. Ein Schild darunter informierte darüber, dass die Brücke in 18 km Entfernung zerstört ist. Wir versuchten es trotzdem. Nach 6 km Schotterpiste tauchte ein weiteres Sperrschild auf. In 12 km „Brücke zerstört“. Lt. Navi gab es keine nutzbare Umgehung. Also kehrten wir um und fuhren zurück zur M18, die übrigens schon seit 2010 R21 (russisch P21) heißt. Aber beim Verlag Reise-Know-How interessiert das offenbar niemanden. In der Karte von 2013 steht immer noch M18.

nur noch 1030 km bis Murmansk
auf der P21

Petrosawodsk, Hauptstadt der Republik Karelien, zählt mehr als 260000 Einwohner und liegt am Südufer des Onega-Sees.

Per Internet fanden wir einen kleinen, etwas versteckt liegenden Campingplatz mit neuen, sauberen Duschen und Toiletten (Koordinaten: 61.786749 / 34.397625)., www.nord-camping.ru). Oxana, die junge und perfekt deutsch sprechende Rezeptionistin, kümmerte sich liebenswürdig um uns und nahm uns sogar mit zu einem Stadtbummel.Sie buchte uns auch die Tickets für die morgige Schiffsfahrt zur Museumsinsel Kischi.

Zusammen mit holländischen Globetrottern,(Gonda und Piet), die am Nachmittag eingetroffen waren, aßen wir am Abend typisch russische Pelmeni und köstlichen Salat. Wenn Reisende zusammen sitzen, gibt es natürlich auch viel zu erzählen.

Wir können den CP empfehlen, auch wenn er (noch) nicht ganz westlichem Standard entspricht. Dafür bezahlten wir auch nur 500 Rubel (reichlich 7 €).Vom Platz bis zu den Schiffsanlegestellen läuft man nur 5 bis 10 Minuten. Dort schließt sich eine schöne Uferpromenade in Richtung Stadt an.

Standort: N 61° 47' 10.6" E 34° 23' 48.6"
gefahrene Strecke: 206 km

Hotel "Nord" in Petrosawodsk

Theater

Gedenkstätte für die namenlosen Gefallenen des 2. Weltkriegs


Zar Peter der Große, welch eine Geste...

Uferpromenade

Freitag, 30. Juni 2017

Köstliche Blini mit süßer Sahne zum Frühstück! Herrlich!

Mit den netten Holländern verstanden wir uns blendend. Zusammen fuhren wir um 12 Uhr mit einem Tragflügelboot zur Insel Kischi. Für die 70 km benötigte das schnelle Boot lediglich 75 Minuten. Auf der Insel betreute uns Alexey, ein junger Russe, der sehr gut deutsch spricht.

Tragflügelboot "Meteor"

Schiffsuhr, drei vor zwölf

Blick zum Heck

Hauptattraktion der Insel ist die riesige, 35 m hohe hölzerne Verklärungskirche. Sie wurde 1714 erbaut, wobei außer zur Befestigung der 30000 Schindeln aus Espenholz kein einziger Nagel verwendet wurde. Schade nur, dass von den 22 Zwiebeltürmen einige nicht zu sehen waren, da die Kirche seit Jahren aufwändig rekonstruiert wird. Man hofft, die Arbeiten bis 2019 abschließen zu können. Der gesamte Komplex alter Holzkirchen und -häuser, die größtenteils von anderen Orten hierher transportiert wurden, gehört seit 1990 zum UNESCO-Welterbe.

bewohnte Inseln

UNESCO-Welterbe auf Kischi
ein Schild mit einer Terrorismus-Warnung begrüßt uns auf der Insel

Alexey wusste viele interessante Dinge zu erzählen: Wie die Menschen früher hier lebten und arbeiteten, wie die Holzgebäude errichtet und genutzt wurden usw. usf. Auf jede unserer zahlreichen Fragen wusste er eine passende Antwort.

Besonders beeindruckte, ja bewegte mich der Gesang dreier in lange, schwarze Kittel gekleidete Männer (keine Mönche), die in einer mehjrere hundert Jahre alten Kapelle unglaublich gefühlvoll ein altes russisches Lied sangen. Ich kann nicht sagen, warum mir dieser Gesang so zu Herzen ging, obwohl ich kein einziges Wort verstand.



Ebenso begeisterte uns das Glockenspiel einer weiteren kleinen Holzkirche. Alexey konnte den Glöckner dazu bewegen, extra für uns die zehn Glocken noch einmal zu bedienen, was natürlich manuell geschieht. Wunderbar, wie die Melodie der Glocken mal laut und mal leise über die grünen Wiesen hinaus auf den See schwebte.

im Hintergrund die Kirche, die z. Zt. restauriert wird

großes Bauernhaus mit fast 400 qm Nutzfläche; darin lebten aber auch bis zu 20 Menschen

dieses Detail findet man an fast jedem Haus; oben das Symbol für die Sonne, unten das für Fruchtbarkeit

die Gästestube wurde nur selten genutzt

Windmühle

die Schindeln aus Espenholz werden grundsätzlich manuell hergestellt


ein riesiges Kreuzfahrtschiff entlässt seine Gäste auf die Insel zum Glück erst, als wir die Insel schon wieder verlassen wollten


das Kirchlein mit dem Glockenspiel

Apropos See. Der Onega-See ist nach dem Ladoga-See der zweitgrößte See Europas. 250 km Länge und 91,6 km Breite ergeben eine Fläche von 9720 qkm. Er entstand erst vor 11000 Jahren während der Weichsel-Eiszeit.

Der Tag klang zünftig aus mit vom Chef des CP persönlich gegrilltem Schaschlik. Noch lange saßen wir mit den beiden Holländern zusammen und erzählten uns gegenseitig von unseren vielen Reisen.

Standort: N 61° 47' 10.6" E 34° 23' 48.6"
gefahrene Strecke: 0 km


Schaschlik



Freitag, 1. Juli 2017

Juttas Geburtstag. Zum zweiten Mal 33!

In einem funkelnagelneuen Magnit-Supermarkt füllten wir unsere Vorräte auf und verließen anschließend Petrosawodsk in Richtung Norden. Wir waren froh, als wir die Stadtgrenze hinter uns hatten, denn wie in vielen russischen Städten befinden sich die innerstädtischen Straßen in bemitleidenswertem Zustand. Die Fahrt dort gleicht einem Slalom um die tiefen Schlaglöcher herum.

Bei Kondopoga bogen wir nach rechts ab. Wir wollten nicht ständig auf der Magistral dahinrollen, sondern auf einer ebenfalls nach Norden führenden Nebenstraße nach einem schönen Stellplatz Ausschau halten. Kurz nach der hässlichen Stadt ging die Straße in eine zunächst gut befahrbare Piste über. Dichter Wald säumte zu beiden Seiten die Piste. Zu den umliegenden Seen gab es kein Durchkommen. Je weiter wir fuhren, desto schlechter wurde der Weg. Nach vielleicht 25 km ohne einen einzigen befahrbaren Seitenweg sahen wir ein, dass wir hier keinen Stellplatz finden würden. Erst in 50 oder 60 km trifft diese Piste wieder auf die P21 (M18; ab jetzt werde ich die korrekte Bezeichnung P21 verwenden). Es war also sinnvoller, wieder umzukehren, als noch zwei oder drei Stunden über die Piste zu hoppeln.

Gesagt, getan. Wieder zurück auf der Magistrale, nahmen wir nach wenigen Kilometern die Gelegenheit wahr, den eindrucksvollen Wasserfall Kivach zu besuchen. Wer vermutet schon in diesem flachen Landstrich ohne nennenswerte Erhebungen einen Wasserfall? Tatsächlich toben jedoch gewaltige Wassermassen durch ein kleines Felsmassiv. Zu dem Areal gehört ein kleines, liebevoll gestaltetes Museum, das hauptsächlich der umgebenden Natur gewidmet ist.



Bis zu einem CP war es dann nicht mehr weit. Im Wald versteckt an einem der vielen Seen gibt es ein einfaches Hotel mit angeschlossenem CP, genannt Camping „Sandal“. So ein Auto wie den Gecko und so verrückte Leute, die auch noch darin schlafen wollten, hatte der Chef wohl noch nie gesehen. Zunächst wusste er nichts mit uns anzufangen, bis ihm nach längerem Überlegen einfiel, dass wir uns ja dorthin stellen könnten, wo sonst manchmal Zelte stehen. Na bitte, geht doch! 850 Rubel fanden wir dann aber schon heftig für einen Platz fast ohne Infrastruktur. Wir blieben trotzdem und bauten uns direkt am Seeufer auf. Von dort hatten wir einen herrlichen Ausblick auf den See. Viel später beobachteten wir den fantastischen Sonnenuntergang. Die Sonne war schon einige Minuten hinter den Bäumen am gegenüber liegenden Ufer verschwunden, als noch immer ein goldener Halbkreis über dem Wald schwebte. So eine Art Halo habe ich noch nie gesehen.

Gegen Mitternacht erlosch unser kleines Lagerfeuer und wir legten uns schlafen, obwohl es so hell war, dass man hätte Zeitung lesen können.

Standort: N 62° 21' 27.5" E 33° 59' 56.9"
gefahrene Strecke: 152 km









Sonntag, 2. Juli 2017

Vor unserer Abreise wollten wir unseren Wassertank auffüllen, doch die Wasserhähne an einem Waschplatz gaben keinen einzigen Tropfen her. Eine hilfsbereite Russin bemerkte unser Problem, telefonierte und teilte uns dann mit, dass im Moment kein Strom da ist und deshlb auch kein Wasser läuft. In einer halben Stunde würde alles wieder funktionieren. Darauf wollten wir uns nicht verlassen und fuhren los.

Die Sonne im Rücken ging es stetig nach Norden. Birken- und Nadelwälder und immer wieder Sumpfgebiete wechselten sich ab. Die Landschaft erinnerte stark an die Westsibirische Tiefebene. Auch schöne Seen sahen wir häufig, aber, wie eigentlich immer, ohne jeden Zugang. Zwei im Navi angegebene CPs existierten nicht bzw, der Zufahrtsweg war mit großen Erdhaufen zugeschüttet.

Wir schwenkten ab nach Osten in Richtung der Stadt Belomorsk, die, wie schon der Name sagt, am Weißen Meer liegt. Die holprige Straße dorthin verläuft auf der zweiten Hälfte entlang dem Weißmeer-Ostsee-Kanal. Dort wurden wir endlich fündig. Direkt am Kanal, der hier eher wie ein breiter Fluss wirkt, fanden wir einen schönen Platz.



Wir genossen die Abendsonne, die gegen 18 Uhr immer noch ordentlich brannte. 22 Grad zeigte das Thermometer, und das 200 km vor dem Polarkreis! Nicht zu fassen, aber schön.

Sobald die Sonne hinter den Bäumen abtauchte, kamen die Mücken aus ihren Verstecken. Wir ergaben uns und flohen ins Auto. Dort schrieb ich bis Mitternacht an meinem Tagebuch, und das ohne jede Lampe oder Kerze. Um 0:10 Uhr war es taghell. Weiße Nächte eben. Ich legte mich schlafen, während in der Ferne ein Kuckuck wohl keine Ruhe fand und seinen Ruf ertönen ließ.

Standort: N 64° 26' 46.6" E 34° 32' 34.7"
gefahrene Strecke: 289 km


Montag, 2. Juli 2017

Gestern fuhr kein einziges Schiff an uns vorüber. Vielleicht gibt es hier ein Sonntags-Fahrverbot für Schiffe? Heute hingegen tuckerten schon einige Boote und Schiffe vorbei. Wir saßen den ganzen Tag in der Sonne und genossen die Ruhe. Wir legten unser Thermometer in die Sonne. Es zeigte nach kurzer Zeit 48 Grad an. Entsprechend lief uns der Schweiß. Und das im hohen Norden!


Dieser Kanal, an dem wir hier sitzen und unser Leben genießen, bedeutete für viele Menschen den Tod. Auf Stalins Geheiß wurde von September 1931 bis April 1933 dieser Wasserweg erschaffen,der 227 km lang ist. Künstliche Abschnitte verbinden Seen und Flüsse miteinander. Durch ihn ist es möglich, von St. Petersburg per Schiff direkt bis in die Barentssee zu fahren. Ohne den Kanal müssten Schiffe um ganz Skandinavien herum fahren und müssten dabei 4000 km mehr zurücklegen. Für den Bau wurden damals hauptsächlich Gefangene der Gulags eingesetzt. 50000 von ihnen ließen auf Grund der unmenschlichen Arbeitsbedingungen und unzureichender Nahrung und medizinischer Versorgung ihr Leben. Deswegen wird der Kanal auch manchmal „Kanal des Todes“ genannt.

Am Nachmittag hatten wir ein ganz typisches Erlebnis mit zwei jungen russischen Familien. Sie kamen mit zwei Autos und einigen Kindern, setzten sich in einem Meter Abstand direkt neben uns, sagten aber kein Wort und vermieden auch jeden Blickkontakt. Bis auf die beiden Frauen tobten alle im Wasser herum, wärmten sich dann in der Sonne wieder auf und schickten sich an, wieder zu gehen. Zum Schluss schüttete einer der beiden Männer einen kleinen Sack mit Holz auf den Holzhaufen, den ich am Vormittag schon gesägt hatte. „For free“, meinte er und lächelte. Wir waren wieder mal verblüfft. Immerhin konnten wir den Kindern noch ein paar Kekse zustecken. Warum nur sind die Russen anfangs so kontaktscheu???

Später hatten wir unseren Spaß beim Füttern der Möwen, die unglaublich geschickt hochgeworfene Brotstückchen noch während des Fluges mit dem Schnabel auffingen. Manchmal geschah dies völlig lautlos, dann wieder mit lautem Geschrei. Ein aufregendes und sättigendes Spiel für die Vögel, lustig und unterhaltsam für uns.

Morgen werden wir weiter nach Norden fahren und evtl. schon den Polarkreis überschreiten. Ihr werdet es hier im Blog lesen, bleibt also schön neugierig...

Standort: N 64° 26' 46.6" E 34° 32' 34.7"
gefahrene Strecke: 0 km


am Nachmittag fast 50 Grad in der Sonne

dieses Bild entstand kurz nach Mitternacht